Am vergangenen Mittwoch entzückte Studio Braun das Publikum im E-Werk mit Sternstunden der Blöd-Sinnig-keit. Anlass ist ein dicker Schinken – ein Buch, eine Collage in Text und Bild mit Kritzeleien, Faxen und Fundstücken anlässlich des 20-jährigen Jubiläums von Studio Braun auf 400 großformatigen Seiten mit dem Titel „Drei Farben Braun – Das große Studio Braun Buch“.
Das Unmögliche möglich machen und die Farbe Braun, die Couleur von Exkrement und Nazis, in Zeiten in denen die AfD 7,4 % zu viel bei der Landtagswahl in NRW erreicht, in meinem Herzen mit den Empfindungen von Rosa-Rot zu übermalen, das schafft nur das Studio Braun. Ich bin fast so verliebt wie damals in Michael Jackson, als ich die virtuose Darbietung der drei Knallidioten und Künstler Jacques Palminger, Heinz Strunk und Rocko Schamoni verlasse. Sie lieferten eine virtuose Mischung aus Ironie, Witz, Musik, Text, Bild und Tiefsinnigkeit ab. Keine schwache 2. Halbzeit – nur Knaller. Meine Lachmuskulatur kam gleichzeitig mit meinem Empfinden für Genialität: multiple Fun-Höhepunkte oder wie sie selber ankündigten: „Eine psychedelische Walpurgisnacht – eine Apassionata ohne Pferde!“
Die drei Till Eulenspiegels schalteten zu Beginn ihrer Schaffenszeit und damit als Erste ominöse Kleintier-Anzeigen oder verfälschten Speisekarten mit Gerichten wie „Hühnchen in komischer Soße“. Sie sind Vorreiter, mit einem Herz aus Punk – denn Terror ist Leben.
Mit ihrem kreativen Schaffen grätschen sie durch fast alle Genres – von Literatur, Kunst, Musik, Theater, Design, Performance bis hin zum Film. Was mit Telefonstreichen begann, mündet in einen Kinofilm über das Fake-Techno-Trio Fraktus, fünf Theater-Stücken, Büchern wie „Dorfpunks“, „Fleisch ist mein Gemüse“ und zuletzt dem düsteren Roman von Heinz Strunk, „Der goldene Handschuh“ über den Frauenmörder Fritz Honka. Studio Braun macht Katalysator-Kunst. Ihre Sicht der Dinge, ihre Einfälle und Gewitztheit lassen einen über die Einsamkeit und Härte des Lebens nachdenken und am Ende lachen.
Die oft Kopierten raten dem Publikum: „Geh ins Extreme, probier mal was aus.“ Über die Angst vor der Angst singen sie. Das ist es, was Studio Braun ausmacht. Sie brechen etwas auf. Sie benennen die Depression und enttarnen, dass „die Angst hohl ist und nichts sie umgibt“. Das hat Power! Sie sind ein A-Team der Gagaität und gehören zu den Typen, die erst mal ein schönes Schnitzel essen, bevor sie betrunken zum Stall marschieren, um die Schweine zu befreien.“
„Wir sind psychische Bergmänner, wir wühlen im tiefen braunen Stollen der Depression. Wir verwandeln unsere Depressionen in Lebensfreude für andere. Über unser tiefes Leid dürfen später andere herzhaft lachen“, sagt Rock Schamoni in einem Interview. Er beschäftigt sich gerne mit Scheiße und hat 2012 eine Schmuckkollektion namens „Scheiße by Schamoni“ herausgebracht. Scheiße spüren, so die Intention. Make braun great again. Scheiße aus Gold.
Den Einstieg in den Abend bildet eine Diashow über die authentischen Episoden des wahnwitzigen Schabernacks, den die drei mit mal weniger und am Ende mehr Erfolg betrieben. Eine volkstümliche Musikeinlage bringt die mitklatschenden Kölner in Wallung, wie einst im Musikantenstadl. „Denn wir sind Geilianer!“, singen alle anstandslos mit, und man wundert sich, wie schnell eine ZDF-Fernsehgarten-Atmo im E-Werk herrscht. „Isch könnt dat 10 mal singe“, dudelt Schamoni in seinem Kölsch. Als die Vorstellung zu Ende zu sein scheint, sagt er: „Wir fangen einfach nochmal von vorne an!“ Geil! Es folgt eine Vogue-Foto-Strecke, die alle Seriousness von Luxus-Business und Model-Coolness zerfotzt. Doch auch der längste kurzweilige Abend geht zu Ende. Bratwurstfarben und mit den Worten: „Ich könnte euch jetzt töten.“
Darauf einen dreifachen Mariacron!
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