choices: Herr Friedrich, der Hund stammt vom Wolf ab. Worin unterscheiden sie sich, worin ähneln sie sich noch heute?
Uwe Friedrich: Es gibt bestimmte Anlagen beim Hund, wo man noch auf wölfisches Verhalten, auf Urinstinkte zurückschließen kann. Gerade, wenn Hunde zum Beispiel einen Knochen fressen und den verbuddeln. Auch von der Kommunikation her sind sehr, sehr viele Ähnlichkeiten zum Wolf erkennbar, nur das Repertoire ist wesentlich breiter geworden. Also, die Hunde haben Verhaltensweisen von Menschen adaptiert. Da sind auch Studien gemacht worden, dass zum Beispiel Hunde auf einmal angefangen haben zu grinsen. Und das ist jetzt kein wölfisches Verhalten mehr. Das ist tatsächlich im Laufe der Zeit entstanden über Nachahmung. Dass die Hunde gelernt haben, solche Verhaltensweisen führen beim Menschen zum Erfolg.
Die Geschichte zwischen Mensch und Hund besteht bereits seit über 15.000 Jahren. Warum eignen sich Hunde besonders für den Menschen?
Gerade durch diese extreme Adaptionsfähigkeit. Sie verstehen Menschen sehr gut. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schlecht oft die Ausbildung ist und die Hunde das trotzdem verstehen − auf welche Nuancen sie im Endeffekt achten können. Diese Gabe, diese Veranlagung ist für den Menschen natürlich sehr, sehr schön. Die Menschen merken auch, dass der Hund sie irgendwo versteht. Sie sind anpassungsfähig, man kann die ganze Freizeit mit ihnen verbringen − was beiden einen Mehrwert bringt. Natürlich auch die Dinge, bei denen der Mensch mit dem Hund gemeinsam ein Team bildet, was über den Freizeitcharakter hinaus geht. Was es ja schon ewig gibt ist diese jagdliche Schiene oder dieser Schutzgedanke: „Ich passe auf eure Häuser auf.“ Man vermutet ja, dass der Hund so zum Menschen gekommen ist − über die Jagdschiene.
Seit etwa 150 Jahren werden Hunde gezüchtet. Wenn Sie Hundeerziehung geschichtlich betrachten, was hat sich verändert?
Eine Menge. Mein Großvater und Vater haben das schon recht intensiv verfolgt, gerade mein Vater im jagdlichen Bereich. Mein Großvater, der hat noch den zweiten Weltkrieg erlebt und war da auch mit einem Hund im Einsatz. Deswegen habe ich das als Kind schon ein bisschen mitbekommen. Obwohl mein Vater seine Hunde geliebt hat, war das eine ganz andere Art von Erziehung. Da gab es wenig mit positiver Verstärkung, mit Futter, mit Spiel oder mit Klicker. Dass man sich gerade Gedanken macht, vom Gesundheitszustand über hormonelle Dinge wie: Ist da eine Schilddrüsenunterfunktion? – das gab es früher nicht im Ansatz.
Immer mehr Menschen sind fasziniert von sogenannten TV-Hundeflüsterern wie etwa Cesar Millan. Wie ist Ihre Haltung dazu?
In einer Familie, in der der Hund zum Beispiel zuhause Aggressionsverhalten zeigt, dass man sagt: „Komm, ich nehme den Hund, integriere den mal in eine Gruppe von anderen Hunden, gebe den wieder zurück, und dann ist alles gut“ – das ist für mich Quatsch. Es geht ja um das Zusammenleben von der Familie, in dem Fall mit dem Hund. Wo sind da die Ursachen, dass der Hund dieses Verhalten zeigt? Es bringt nichts, wenn der woanders ist, in einem Rudel, dort ist alles gut. Und wenn er wieder zurück kommt, werden die gleichen Fehler gemacht. Es gibt auch bestimmte Zwangsmaßnahmen, die würde ich jetzt nicht machen. Das sind Leinentechniken, die ich nicht gut finde – wo dann mit einer Würgeleine relativ schnell gearbeitet wird. Aber ich muss auch dazu sagen: Ich bin kein Experte für Cesar Millan.
Welche Hundeerziehung empfehlen Sie?
Im Endeffekt ist Hundeerziehung ehrlich wie Kindererziehung. Jeder, der sagt, ich habe eine Philosophie – das ist schwierig. Natürlich gibt es Grunddinge: Man sollte immer gucken, dass der Hund etwas versteht. Dass ich in kleinen Lernschritten etwas aufbaue. Dass ich auch versuche, viel positive Verstärkung anzuwenden. Dass der Hund in ein Gefüge reinkommt, wo er vom Menschen im Endeffekt eine Sicherheit bekommt, einen Schutz. Und er sich auch geborgen fühlt in dieser Familienstruktur. Dass man auch wirklich sagt, man versucht das Individuum auszubilden. Und früher hat man gesagt, der Hund muss halt folgen, weil er den Chef, das Herrchen, vor sich hat. Solche flachen Dinge gibt es heute auch noch, aber Gott sei Dank gibt es auch die modernen Ansätze, wo weit darüber hinaus gearbeitet und auch auf die Bedürfnisse vom Hund eingegangen wird. Dass er Nasenarbeit ausleben darf zum Beispiel, das gab es früher kaum.
Aber Grenzen muss ich dennoch setzen, oder?
Absolut. Nur wie mache ich das? Es ist wichtig, dass ich durch ein cooles, auch souveränes Vorleben signalisiere, dass der Hund nicht permanent über mich verfügen kann. Da muss ich überhaupt gar keine Zwangsmaßnahmen treffen. Sondern wirklich eine Souveränität, eine Stabilität ausstrahlen. Und dadurch fällt es mir auch natürlich wesentlich leichter, Grenzen zu setzen. Viele Leute machen das, lesen dass Grenzen setzen wichtig ist, haben aber überhaupt nicht dieses Standing dem Hund gegenüber und dann kann es auch zu Missverständnissen und Konflikten führen. Viele Menschen neigen dazu, dass sie den Hund wie so eine Pyramide ausbilden. Am Anfang, wenn er kommt, ist es unten ganz breit, dann kriegt der Hund alle Freiheiten dieser Welt. Und je älter er wird, dann verjüngt es sich nach oben, dann grenzen die Leute den Hund immer mehr ein. Das ist natürlich schwierig. Wenn man es andersherum macht, am Anfang ruhig wie so einen Trichter, ein bisschen eng, mehr Grenzen setzen und dann peu à peu aufmachen – das finde ich oft leichter für den Hund.
6,9 Millionen Hunde leben in Deutschland. Welche Probleme erleben Sie in Ihrer täglichen Arbeit zwischen Halter und Vierbeiner?
Es gibt natürlich die Klassiker: „Mein Hund zieht furchtbar an der Leine, mein Hund kommt nicht, wenn ich ihn rufe, mein Hund pöbelt an der Leine gegenüber Artgenossen, mein Hund jagt sehr stark.“ Dann gibt es die Dinge, die immer mehr zunehmen: Gerade Angst bei Hunden, was sicherlich viele Gründe hat. Ich hatte am vergangenen Wochenende die Hälfte der Zeit mit psychisch labilen Menschen zu tun. Das ist natürlich ein Thema, wo die Probleme von den Menschen durch den Hund kompensiert werden sollen und das kann er einfach nicht, das geht nicht. Und dann zeigen sich auf einmal Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden. Es liegt auch an der Zucht, dass nicht immer richtig gut und mit den geeigneten Hunden gezüchtet wird. Es liegt aber auch daran, dass viel mehr Hunde aus dem Ausland bei uns eingeführt werden, die dann vielleicht schon traumatisiert sind. Und dadurch hast du dann diese Hunde auch mehr im Training.
Sie haben an einer Lungenkrebs*-Studie mit Hunden mitgewirkt. Wenn ich ins Krankenhaus komme wird ein Hund bald meine Atemluftprobe einordnen?
Der steht dann im weißen Kittel unten an der Pforte und sagt: „Sie gehen gleich da rein.“ (lacht) Das hat er alles gelernt.
Was haben die Erkenntnisse aus der Studie für Auswirkungen?
Man weiß ja nicht wirklich genau, was ist eigentlich explizit Krebsgeruch, es ist immer noch nicht greifbar. Das ist, was die Wissenschaft sich wünscht, dass sie unter Umständen dieses Molekül synthetisch, künstlich herstellen kann, damit man dann schnell geeignete Gegenmaßnahmen treffen kann.
An der Lungenkrebs-Studie haben eine Deutsche Schäferhündin, ein Altdeutscher Schäferhund, ein Labrador und ein Australian Shepherd teilgenommen. Wie wurden die Hunde für die Studie gehalten?
Das waren ganz normale Familienhunde von guten Bekannten. Wo ich sage, die Hunde sind klasse, die Menschen sind klasse. Das waren die Kriterien. Ich bin absolut der Überzeugung, dass Hunde besonders leistungsfähig sind, genauso wie Menschen, wenn es ihnen gut geht; und, wenn sie im Endeffekt nicht irgendwie isoliert, steril gehalten werden, wie es früher zum Teil gemacht wurde oder wie es auch heute in bestimmten Kreisen noch gemacht wird.
Wie haben Sie sie trainiert?
Es ist eine klassische Konditionierung, dass der Hund einen Reiz – also Atemluft – riecht, und dass ihm da recht schnell mitgeteilt wird – das ist gut. Und er bekommt immer in Zusammenhang mit dieser speziellen Atemluft Futter. Wenn man das mit vielen Atemproben macht, wird für ihn dieser Geruch im Laufe der Zeit wichtig. Und er differenziert von Proben, die dieses Geruchsbild „Krebsgeruch“ nicht haben. Bei Krebs ist es wichtig, dass man mit möglichst vielen Proben arbeitet und die Hunde auf dieses Geruchsbild konditioniert. Der Hund klebt dann passiv an der Probe, wo er denkt: „Hier habe ich Krebsgeruch registriert.“
Was tun Sie, um Ihren Hunden etwas Gutes zu tun? Ab und an mal eine Pediküre?
Nö, das mache ich nicht, das gebe ich zu. (lacht) Ich mache die ganz normalen Dinge: einen Hund striegeln, natürlich kuscheln finde ich superwichtig. Alle 14 Tage gehen wir zu einer guten Physio. Die hat ein sehr, sehr cooles Schwimmbecken, das seinen Namen auch verdient hat und dann ist das ganze Jahr über schwimmen angesagt. Aber das dient auch eher der Prophylaxe. Ich bin überzeugt davon, dass die Hunde, wenn sie mal auf dem Sofa sind, nicht unbedingt die Weltherrschaft übernehmen wollen. Meine Diensthunde − ich habe damals allein gewohnt − von der Hygiene war mir das egal, die waren beide bei mir im Bett. Das ist jetzt nicht mehr so, weil da jetzt meine Freundin liegt.
Hunde haben zwischen 125 und 250 Millionen Riechzellen. Zum Vergleich: Der Mensch hat etwa fünf Millionen. Wo kann Technik die Spürhundnase bislang nicht ersetzen?
Gerade im Sprengstoffbereich kann sie es nicht. Wenn man da mit Insidern mal Kontakt hat, ist es so, dass die Fehlanzeigen von der Technik oft größer sind als die der Hundenase. Die Qualität der Hundenase ist definitiv besser. Es ist auch im Krankheitsbereich, auch im Krebsbereich eigentlich noch nicht machbar. Die Krebszentren forschen daran, so salopp ausgedrückt, die elektronische Hundenase entwickeln, damit die Trefferquote in der Diagnostik deutlich zunimmt.
* Lungenkrebs wird immer noch eher zufällig entdeckt. Das Röntgen wird oft vermieden, da Ärzte versuchen, die Strahlenbelastung beim Patienten so gering wie möglich zu halten. Daher behandeln Ärzte Patienten oft auf andere Atemwegserkrankungen hin. Doch Lungenkrebs ist sehr aggressiv und bildet schnell Metastasen, so verlieren Patienten wertvolle Zeit. Ein Schnelltest könnte da Abhilfe schaffen.
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