Burkhard Bier ist Ankleider im Kölner Theater, und kaum etwas ist ihm so wichtig wie seine Kleidung. Die Krankenschwester Lara Pietjou wiederum macht keinen Hehl aus ihrer Liebe zum Geld. Zusammen mit ihren Mitspielern Roland Görschen, Andrea Boehm-Tettelbach und Tobias Fritzsche formiert sie ein Quintett, das sich in dem sehenswerten Abend „Noch nicht“ des Regieduos Hofmann&Lindholm Gedanken über Werte und ihre Sicherung macht.
Mit ausgesuchter Höflichkeit stellen sich die fünf Akteure vor, geben diskret ein paar Eigenheiten preis und lassen sich dann in ihr individuelles Wertportfolio blicken. Für den kontaktfreudigen Tobias Fritzsche geht nichts über sein Adressbuch, Andrea Boehm-Tettelbach hängt an den Fotos ihrer Familie. Dabei werden aufklappbare Holzkästen präsentiert, in denen persönliche Favourites wie Hemden, Geldbeutel oder Ausweise als Ausstellungsstücke in einem Herbarium der Werte oder einem Privatschrein aufgereiht sind.
Theaterabende des Künstlerduos Hofmann&Lindholm sind Abende der Verunsicherung. Das kündigt ihr neues Stück „Noch nicht. Desinformationsabend für inoffizielle Mitarbeiter“, das in der Schlosserei des Kölner Schauspiels herauskam, schon im Titel an. Die Frage nach den Werten ist jedoch nur der Ausgangspunkt, denn Werte wollen gesichert sein. Wie üblich arbeiten Hofmann&Lindholm mit sogenannten „Komplizen“, also Laien, die im Vorfeld in den öffentlichen Raum delegiert wurden, um dort nach „sicheren“ Hohlräumen und Leerstellen zu fahnden, die einem zunehmend bedrohten privaten Raum vorzuziehen sind.
„Noch nicht“ stellt die Resultate dieser Recherche als Theaterstück vor. So ver-tauscht Roland Görschen seinen Personalausweis mit dem Mustermann- Exemplar eines Fotoautomaten, installiert Tobias Fritzsche in einem fremden Haus einen (toten) Briefkasten, in dem er Teile seines Adressbuches deponiert. Das subjektiv Wertvollste wird konspirativ coram publico in Sicherheit gebracht und zugleich als individuelles Memento zurückgelassen. Dass die Aufführung am öffentlichen Ort „Theater“ vielleicht selbst eine verdeckte Intervention dieser „Komplizen“ mit den Zuschauern als Opfer sein könnte, potenziert den Reiz nochmals.
Der Abend langweilt keine Minute, und das hat auch mit einer virtuosen Dramaturgie zu tun. Da ist einmal der Ton forschender Genauigkeit mit Angaben von Daten und Uhrzeit, der unversehens in Komik umschlägt, wenn die exakte Genealogie der Familie Mustermann ausgebreitet wird. Da sind die wiedergegebenen Statements einer Frau Keuner, die ohne Zweifel eine Nachfahrin von Brechts Herr Keuner ist. Zugleich entfaltet der Abend seine Spannung auf den Beginn eines ominösen „Testlaufs“ hin, der sich dann als Rückholaktion der Wertsachen entpuppt. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass Sicherheit sowieso nirgends zu haben ist – schon gar nicht im Theater.
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