Ibsens Stück „Hedda Gabler" ist praktizierter Abwehrzauber. Das Drama lässt sich weder als Emanzipationsstück vereinnahmen wie „Nora", noch funktioniert es als schlichte Parabel auf bürgerliche Verlogenheit und Wahrheitsfanatismus wie „Ein Volksfeind". „Hedda Gabler" schaut tief in die Abgründe. Zum Sympathieträger taugt hier keine Figur, alle changieren zwischen naiv, dumm, aggressiv, abgefeimt und böse. Ein absurdes Kuriositätenkabinett der Seelenverkrüppelungen, das wie ein Exorzismus fürs bürgerliche Wohlbefinden wirkt. Psychologie rechtfertigt da mehr, als sie klärt.
Regisseurin Karin Neuhäuser tappt gar nicht erst in diese Falle. In ihrer Inszenierung am Schauspiel Köln wirken die Figuren alle overacted. Jörgen Tesman (Guido Lambrecht), Hedda Gablers frisch angetrauter Ehemann, ist ein graumelierter kleiner Beflissenheitstroll, ein Terrorist des Mediokren, der mit Tante Jule (Bettina Muckenhaupt) Apfel essend auf einer Holzstufe sitzt und dabei wie ein Junge aussieht. Und natürlich ist er ein Spekulant aufs bürgerliche Klassenziel: Die Ehe mit Hedda hat er schon, die Villa auch, nur die Professorenstelle und damit das Geld stehen noch aus. Er ist brav, bieder, doch als er von seinem Mitbewerber an der Uni erfährt, rastete er völlig aus: Der Bubi als Springteufel. Apropos Villa. Das Bühnenbild, das Ausstatterin Heidi Fischer entworfen hat, wirkt im Depot 2 wie eine Miniatur, ein Zitat des Theaters selbst. Eine halbrunde Rückwand mit umlaufender Holzstufe zum Sitzen oder Verstauen von Gegenständen. Eine gläserne Schiebetür führt zum Garten. Rechts und links kleine vorgesetzte Wände, die Auftrittsgassen entstehen lassen – obwohl man die Figuren meist schon vorher durch die Halle traben sieht. Die Wände sind mit türkisgrünem genopptem Stoff bezogen –Auffangpolster für bürgerliche Etuimenschen. Die Hedda Gabler der Yvon Jansen turnt durch diese Räume wie eine Diva, großer Starappeal, immer elegant, mal im burgunderfarbenen Seidenkleid mit schwingendem Rock, mal im Anzug, dann im auftrittsreifen Morgenmantel. Das Heim als Laufsteg, auf dem die blondierte Generalstochter ihr Leben auschargiert. Die Langweile, ihr körperlicher Berührungsekel, ihre Stimmungswechsel von zuckersüß-verbindlich in eisige Distanz oder ironischen Flirt, ihr Auftritt mit Vampirzähnen, ihre Pose als Femme fatale – Hedda inszeniert sich selbst als Motiv- und Zitatsammlung, in dem sich unser Voyeurismus spiegelt. Karin Neuhäuser lässt Raum für Psychologisierung oder gar falsche Tiefe gar nicht erst aufkommen, sondern setzt ganz auf Tempo und die popkulturelle Psychopolitur der Oberfläche.
„Auf Augenhöhe" scheint Heddas Spiel nur mit dem Amtsgerichtsrat Brack (Niklas Kohrt) zu verlaufen, einem schmierig-glatten Machtzyniker im Clubjackett, der jede menschliche Schwäche zu seinen (sexuellen) Gunsten ausnutzt. Heddas Demütigung ihrer alte Freundin Thea Elvsted (Annika Schilling), deren wilde Haarpracht im Gegensatz zu ihrem Helfersyndrom steht, ist dagegen ein Kinderspiel. Sie wird zum Angelhaken, über den Hedda schließlich an ihren alten Freund Lövborg herankommt. Ein Mann, den sie schon einmal fast vernichtet hat, der sich berappelt und nun einen neuen Karriereanlauf macht. Bei Nikolaus Benda wirkt er wie ein abgerissener Penner, den man in einen Anzug gesteckt hat. Angekratztes Selbstbewusstsein hinter Bohemienpose, allerdings fehlt es ihm etwas an der Lust zur Selbstzerstörung. Seine Vernichtung durch Hedda vollzieht sich fast zu einfach, erst wenn sie ironisch greinend Lövborgs Manuskript, sein Kind, sein Ticket in die Zukunft verbrennt, spürt man etwas von einem triumphalen Vernichtungswillen. Ein Gefühl, immerhin. Konsequent schließlich, dass ihr Selbstmord am Ende nur fingiert ist – ihr Tod wäre letztlich nur eine Beschwichtigung. Heddas Spiel ist immer ein Spiel vor und mit dem Publikum, deshalb verbeugt sie sich auch als Figur alleine vor den Zuschauern.
„Hedda Gabler" | R: Karin Neuhäuser | 2.12. & 19.12. 20 Uhr, 7.12. & 25.12. 18 Uhr, 28.12. 19 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 28400
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