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Foto: Doğan Akhanlı

„Ich wollte die Geschichte möglichst unmittelbar erzählen“

08. September 2021

Doğan Akhanlı über „Madonnas letzter Traum“ amTheater im Bauturm – Premiere 09/21

Dass autoritäre Regierungen ihre Kritiker selbst noch im Ausland verfolgen und mundtot zu machen versuchen, ist inzwischen an der Tagesordnung.Doğan Akhanlı hat dies 2017 erfahren müssen, als er im Spanienurlaub auf Ersuchen der Türkei vorübergehend verhaftet wurde. Da lebte der Schriftsteller bereits 26 Jahre im deutschen Exil. Doch seine Romane über den Genozid an den Armeniern, die türkische Militärdiktatur und die Verfolgung der Kurden sind offenbar Grund genug für den Verfolgungswahn der türkischen Regierungs-Justiz. Ein Gespräch mit Doğan Akhanlı über seinen Roman „Madonnas letzter Traum“, der am Theater im Bauturm unter der Regie vonSusanne Schmelcherauf die Bühne kommt.

choices: Herr Akhanlı, Sie haben mit „Madonnas letzter Traum“ einen Roman über Sabahattin Alis Romanklassiker „Die Madonna im Pelzmantel“ geschrieben. Was war der Ausgangspunkt der Idee?

Doğan Akhanlı: Ich habe mich Ende der 1990er Jahre sehr intensiv mit den NS-Verbrechen in der deutschen Geschichte und ihrer Aufarbeitung beschäftigt. Ausgelöst wurde das auch durch meine Emigration aus der Türkei nach Deutschland. Zeitgleich habe ich Sabahattin Alis Roman gelesen. Dabei habe ich mir die Frage gestellt, warum er 1943 eine Geschichte schreibt, in deren Zentrum die deutsche Jüdin Maria Puder steht, die an der Geburt ihres Kindes stirbt. Und ob eine Jüdin in einem Roman aus der damaligen Zeit an einer Geburt sterben kann und darf.

Deshalb beginnt Ihre Überschreibung mit dem Satz „Maria Puder ist nicht so gestorben“?

Damit begann meine Spurensuche: Wenn Maria Puder nicht im Kindbett gestorben ist, wie ist sie dann ums Leben gekommen? Diese Suche hat sich mit der Frage nach der Mitschuld der so genannten neutralen Länder am Holocaust verbunden. Welche Politik hat zum Beispiel die Türkei gegenüber den jüdischen Minderheiten im eigenen Land oder den Flüchtlingen verfolgt?

Wie verlässlich ist eigentlich der Erzähler Ihres Romans? Während im ersten Kapitel Sabahattin Ali der Ich-Erzähler zu sein scheint, wechselt dieses Ich im Roman häufiger seine Identität – bis hin zu einem Autor aus Köln?

Ich wollte die Geschichte möglich präsent und unmittelbar erzählen, deshalb spiele ich mit der Identität des Autors aus Köln, der historischen Identität von Sabattin Ali und den Figuren seines Romans wie Reif Efendi. Das Ziel war, über historische Ereignisse zu erzählen, die bis in die Gegenwart wirken.

Dieser Kölner Erzähler stößt im Laufe des Romans auf eine Figur namens Alma, die angeblich die Tochter von Maria Puder ist. Ist das noch eine fiktive, eine reale Figur?

Ob Alma fiktiv oder real ist, spielt eigentlich keine Rolle, ihre Funktion im Roman ist das Entscheidende. Ich konnte den Ich-Erzähler aus Köln nicht allein durch die Hölle schicken. Ich brauchte eine zusätzlich Perspektive, die mit dem Geschehen enger verbunden ist und mehr über die Geschichte weiß. Alma ist für mich die Erinnerungsarbeiterin im Buch und damit das Gesicht des neuen Deutschlands, das sich mit den Verbrechen auseinandersetzt. Auch deshalb verliebt sich der Kölner Autor in Alma, weil für ihn das alte Deutschland unerträglich ist. Er ist selbst ein Entwurzelter, der eine neue Identität und eine neue Heimat sucht. Alma ist eine Möglichkeit für ihn, sich selbst neu zu entdecken.

Ihr Roman ist hochkomplex, spielt immer wieder auf unterschiedlichste historische Ereignisse an und wechselt die Erzählebenen: Konnten Sie sich eine Dramatisierung für die Bühne überhaupt vorstellen?

Ich konnte mir das eigentlich nicht vorstellen, aber das Team um Susanne Schmelcher hat es geschafft. Sie haben einen plausiblen und thematisch richtigen Weg gefunden. Ich habe die Produktion schon gesehen und sie hat mir sehr gut gefallen.

Ihr Roman folgt weniger einem kausalen Erzählen als einer Architektur der Anspielungen, bei dem zum Beispiel der Genozid an den Armeniern, Maria Puder, Sabahattin Ali usw. miteinander in Beziehung treten. Ist der Roman – so wie die Geschichte – gar nicht kausal zu erzählen?

Ich habe eine Neigung dazu, Geschichten und Ereignissen nicht isoliert zu erklären. Also für mich ist der Holocaust zum Beispiel nicht allein ein Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte. Ich stelle die Frage, ob es Verbindungen gibt zwischen der Vernichtung der Armenier und der Vernichtung der Juden, ohne beide deswegen gleichsetzen zu wollen. Welche Parallelen, aber auch Unterschiede gibt es zwischen diesen genozidalen Erfahrungen?

Inwieweit hat sich das denn in der türkischen Gesellschaft niedergeschlagen?

Es hat keine offizielle Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern oder der Haltung der Türkei gegenüber den Juden gegebenen. Die türkischen Narrative lauten, dass wir die Guten waren und Tausende Juden gerettet haben. Die Forschung bestätigt das nicht. Es gab zwar vereinzelt Solidarität mit den europäischen Juden, aber die antizionistische Haltung war in der Türkei stark verbreitet und mehr als 3000 türkische Juden wurden in Konzentrationslagern umgebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben 80 Prozent der rund 200.000 türkischen Juden das Land verlassen. Und der Genozid an den Armeniern ist bis heute nicht aufgearbeitet.

Ihr Roman ist 2005 in der Türkei erschienen. Wie ist er denn damals aufgenommen worden?

Er wurde sehr positiv aufgenommen und hat schnell Anerkennung gefunden. Von der Literaturkritik wurde er als einer der besten Romane eingestuft. Damals war aber auch die politische Situation in der Türkei so, dass man über den Genozid an den Armeniern, über den Antisemitismus, über die Kurden reden konnte. Damals hatte man das Gefühl, dass die Türkei sich in die richtige Richtung entwickelt.

Wie ist das denn heute? Sind Ihre Bücher in der Türkei verboten?

Meine Bücher sind nicht verboten, aber ich werde ignoriert. Ich existiere in der Türkei weniger als in Deutschland, daran hat sich selbst nach der Verleihung der Goethe-Medaille hier nichts geändert.

Als Sie 2017 in Spanien verhaftet worden sind, hat die deutsche Politik relativ schnell reagiert. Wie würden Sie heute die deutsche Türkeipolitik beurteilen?

Ich habe 2017 großes Glück gehabt und fühle mich von der deutschen Politik sehr gut geschützt. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich die Hauptlinie der deutschen Politik mit der türkischen Macht solidarisiert. Obwohl jeder weiß, wie die türkische Regierung mit den Kurden umgeht, wird das weitgehend ignoriert. Ich wünsche mir eine andere Politik von der deutschen Regierung, also mehr Solidarität mit Bürgern, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen.

Madonnas letzter Traum | R: Susanne Schmelcher | 17.(P), 18., 25.9. je 19 Uhr, 19., 26.9. je 18 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42 

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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