„Was würden Sie denn machen? Wenn das Ihr Sohn wäre!“ bricht es einmal aus Simon hervor – in einem überraschenden Moment, in dem die vierte Wand eingerissen und das Publikum direkt adressiert wird. Abstand ist schon vorher schwer möglich, weder von der szenischen Situation noch vom Thema Gewalt. So dicht stehen die Stuhlreihen um die als Designer-Wohnzimmer ausgestattete, kleine Spielfläche herum, dass man mitunter die Füße einziehen muss, wenn die Affekte hochkochen. So stark macht die clevere Bühnenlösung mit der dominanten Glaswand vor den unbehaglichen Schluchten des Mediaparks die Zuschauer zu Leidensgenossen, dass die Gefahr spürbar wird, die von „denen da draußen“ ausgeht, die sich mit geballten Fäusten aus dem Halbdunkel nähern.
Eine Gang um Skinhead Sven drangsaliert Jojo, den schwarzen, liberal erzogenen Adoptivsohn des designierten Literaturprofessors Simon und seiner ebenso kultivierten Gattin Christa. Der Jugendliche behauptet, der Anführer sei sein Freund, scheint aber eher gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er will nicht, dass sich die Eltern einmischen, auch als sich die Lage zuspitzt. Das Ehepaar ist ratlos, zumal mehr oder weniger latenter Zorn auch in diesem (pseudo-)toleranten Haushalt das Zusammenleben erschwert.
Für seine Bühnenfassung des gleichnamigen, 2006 heiß diskutierten WDR-Films von Züli Aladag hat Regisseur Heinz Simon Keller neben der aussagekräftigen Location auch ein tolles Ensemble gefunden. Drei der jungen Darsteller sind Laien, die selbst schon wegen Gewaltvorfällen mit dem Gesetz in Konflikt standen; sie verkörpern eindringlich die titelgebende Wut. Das furiose Spiel der Profis – von Stefan Gebelhoff und Susanne Seuffert als Eltern bis Arne Obermeyer als Aggressor – lässt den Atem anhalten. Die Ästhetik der Inszenierung vermittelt indes den Eindruck, den Dreharbeiten eines Fernsehfilms beizuwohnen, so dass einen die Künstlichkeit des intendierten Realismus wie auch die dramaturgische Überhöhung letztlich doch immer wieder auf Distanz bringen. Dass die Täter-Opfer-Rollen im Gegensatz zur Vorlage kulturell vertauscht wurden, bringt keinen Mehrwert für die Integrationsdebatte.
„Wut“ nach dem Film von Züli Aladag | R: Heinz Simon Keller | theaterblackbox im Mediapark 7 | 5./6./12./13.10 20.30 Uhr | www.theaterblackbox.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24
Die Grenzen der Freiheit
„Wuthering Heights“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/24
Erschreckend heiter
„Hexe – Heldin – Herrenwitz“ am TiB – Theater am Rhein 05/24
Verspätete Liebe
„Die Legende von Paul und Paula“ in Bonn – Theater am Rhein 05/24
Schöpfung ohne Schöpfer
Max Fischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 05/24
Zeit des Werdens
„Mädchenschrift“ am Comedia – Theater am Rhein 05/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24