Seit choices regelmäßig über Elektromobilität in den Städten berichtet, hat sich die Redaktion angewöhnt, parallel die aktuellen Zulassungszahlen von E-Autos in einem Städte-Ranking zu vergleichen. Mit 109 zum Jahreswechsel angemeldeten Fahrzeugen ist Essen heute wie vor drei Jahren „Tabellenführer“.
Dort mag man vieles richtig gemacht haben, ist der spontane Gedanke, der aber gleich wieder von einer skurrilen Diskussion verdrängt wird, die im City-Bereich seit der Adventszeit lodert. In deren Verlauf beschwerte sich ein in Essen weltberühmter Autopapst-Professor über Schikanen des Ordnungsamtes und über einen Oberbürgermeister, der „wie ein Kind“ schmolle. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin verkündete daraufhin süffisant, dass auch ein Elektroauto abgeschleppt werden könne. Und das an einer Ladesäule abgestellte Benzin-Fahrzeug einer Gewohnheits-Parkerin nebst eingeschlossenem Hund entging um Haaresbreite demselben Schicksal – machte aber die Leserbrief-Welle.
Worum geht’s eigentlich? Nach der gescheiterten NRW-Bewerbung um millionenschwere Fördertöpfe der Bundesregierung war man in Essen froh, wenigstens „Ruhr-Auto E“ im November starten zu können. Seitdem warten 20 elektromobile Opel Ampera im Straßenbild, um per Car-Sharing für 9,25 Euro pro Stunde oder 90 Euro pro Tag gefahren zu werden. Im Frühjahr sollen weitere zehn Elektro-Smarts für die Hälfte des Preises zu haben sein. Noch ist die Auslastung schlapp, berichtet Projektpartner Andreas Allebrod (Drive Car-Sharing), und führt das auf die ungünstige Jahreszeit zurück. Aber das Interesse sei „riesengroß“: Über ein VRR-Monatsticket wären bereits 90 Kunden an Bord und noch einmal 50 weitere mit der „Drive-Card“.
Bleibt das nicht durchdachte Parkproblem: „Die Amperas stehen vor den Ladesäulen auf speziellen Plätzen, die per Schild nur für ladende Elektroautos freigegeben sind. Wenn ein geliehenes Mobil wieder zurückkommt, stellt der Fahrer oft fest, dass ein Benzin-Pkw den Platz besetzt hat. Also parkt er den Ampera irgendwo in der Nähe, weil er ja auch wieder los muss.“ Leichte Beute für den Essener Ordnungsdienst, der laut Allebrod inzwischen mehr als 20 Knöllchen ausstellte und am Hauptbahnhof sogar ein Miet-Mobil entfernen ließ. „Bei uns stapeln sich die Tickets. Allerdings sind auch schon 20 bis 30 Benziner in nicht mal zwei Monaten abgeschleppt worden.“
In der Kritik steht die Stadt, die im Extremfall bis zu dreimal kassiert: 1500 Euro Nutzungsgebühr pro Lade-Stellplatz (zahlt RWE), Parkticket plus Verwarnungsgeld. Selbst als man für das Modellprojekt Flyer in der City verteilen wollte, schimpft Prof. Ferdinand Dudenhöffer, habe die Stadt dafür 250 Euro verlangt. Inzwischen reut es den Projektleiter, mit „Ruhr-Auto E“ überhaupt nach Essen gegangen zu sein. Umgekehrt beharrt Stadt-Sprecher Stefan Schulze darauf, dass man „Elektrofahrzeuge nicht grundsätzlich von allgemeinen Verkehrsregeln befreien kann. Aber wir sehen in dieser Pilotphase noch reichlich Optimierungschancen.“
Deutlich bessere Kritiken bekommen Stadtspitze und Verwaltung von einer Quartiers-Initiative in der nördlichen Innenstadt, die findig versucht, ihr Viertel aufzubrezeln. Vorne dabei: der umtriebige Reinhard Wiesemann vom „UnPerfekthaus“. Zusammen schaffte man es, die bislang rein fußläufige Viehofer Straße in eine „Elektromobilitätszone“ umzuwidmen. Pedelecs – elektrifizierte Drei- und Vierräder – dürfen rein, Elektroautos aber nicht. Mit Vergnügen beobachten Wiesemann und seine Kollegen, wie inzwischen Segway-Mobilisten mit dem Einachs-Roller bis vor den Döner-Schalter rollen.
Wiesemann ist nach Computer-Pioniertum und freier Software-Entwicklung zum dritten Mal in einer „Bewegung von unten“ involviert: „Früher ging es nicht um Förderprogramme und Gesetze, weil man sich im eigenen Interesse engagierte. Die E-Mobilität kam aber bisher eher von oben und das störte mich. Also probieren wir es andersherum.“ Doch nicht jede Idee ist ausgereift. „Ladestationen für E-Fahrräder sind draußen Blödsinn, haben wir gemerkt. Wer soll da schon sein teures Rad abstellen?“ Im benachbarten Mehrgenerationen-Kulthaus will er dagegen Duschgelegenheiten und Spinde für Menschen bereitstellen, die mit dem Fahrrad zum Arbeitsplatz wollen, und ihnen den Ladestrom in den Spind legen.
In der Frühjahrs-Planung tauchen ein Markt für gebrauchte (Elektro-)Zweiräder, eine „Give-Box“ mit E-Mobilitätszubehör zum Geben und Nehmen, Segway-Verleihe, Stadt- und Einkaufsbummel mit elektrischen Seniorenmobilen auf. Wiesemann und Co. sehen sich als Ideenfabrikanten. Offenbar fällt solcherlei Aktionismus bei der Stadt auf fruchtbaren Boden. „Die Projekte werden sehr freundlich angenommen, man kriegt Tipps und wird vernetzt – das ist unglaublich.“ Alle maßgeblichen Leute bei der Stadt hätten die Überzeugung, sich anstrengen zu müssen.
Vielleicht macht das den Unterschied aus, wenn es denn mal besser läuft als woanders in der Region. Und nicht, weil RWE allein zwölf Elektroautos in Essen angemeldet hat.
Bochum: 49 E-Fahrzeuge
Dortmund: 72 E-Fahrzeuge
Duisburg: 34 E-Fahrzeuge
Essen: 109 E-Fahrzeuge
(Stand: 31.12.2012)
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