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Robuste Pflanzen in kafkaesker Architektur
Foto: Erich Goldmann

Erlebnis-Bürokratie

26. Mai 2011

Signa führt „Hundsprozesse“ - Theater am Rhein 06/11

Aktenzeichen 098. Hinter diesen drei Ziffern verbirgt sich meine Existenz als Angeklagte. Die Akte dürfe auf keinen Fall verloren gehen, schärft mir die gar nicht mal unfreundliche Dame in der Zentralregistratur ein und händigt mir einen Laufzettel für die nächsten sechs Stunden aus. Ziemlich viele Termine, die ich am „Vorläufigen Basalgericht der Stadt Köln“ zu absolvieren habe. Verhör I, II, III, Zentrum für seelische Gesundheit, Etikette usw., usw.

Der bürokratische Erlebnisparcours ist die jüngste Performance-Installation des dänisch-österreichischen Künstlerkollektivs Signa. Wie immer haben Signa und Arthur Köstler mit Thomas Bo Nilsson eine Parallelwelt entworfen, die Gewissheiten über die Grenze zwischen Realität und Fiktion radikal in Frage stellt. Der Zuschauer wird zum Mitspieler, in diesem Fall: Opfer, Täter und Mitläufer in einer Person.

Zum ersten Mal hat Signa eine literarische Vorlage adaptiert: Franz Kafkas Roman „Der Prozess“. Dafür wurde detailverliebt die leer stehende, ehemalige KFZ-Zulassungsstelle in das vorläufige Basalgericht verwandelt. Die Räumlichkeiten sind von ausgesuchter Hässlichkeit, jedes Zimmer atmet Verwaltungsluft. Robuste Pflanzen, dunkle Schreibtische, Computer aus dem letzten Jahrhundert. Und Akten, Akten, Akten. Jeder der Zuschauer ist Kafkas Josef K., der ohne dass er etwas Böses getan hätte eines Morgens verhaftet wird.

70 Räume, mehr als 60 Mitwirkende plus 100 Angeklagte pro Abend, die alle ihren individuellen Prozess erleben sollen. Eine logistische Meisterleistung. Und doch. Eine kafkaeske Beklemmung will sich nicht einstellen, die Spannung ist trotz roher Gewalt gegen Langzeitangeklagte, wildem Sex beim Fotoshooting und billigem Wodka mäßig. Eigentlich sind die Mitarbeiter des Basalgerichts ein Ausbund an Zuvorkommenheit. Sofort ist einer da, wenn man verloren durch die Gänge streift. Bestechlich sind sie auch. Nur in Sachen Identität verstehen sie keinen Spaß. Jeder Versuch der Falschauskunft wird streng geahndet. Und das ist vielleicht das eigentlich Unheimliche: Wie schnell sich jemand ein Dossier mit wahren Informationen über die Angeklagte mit der Nummer 098 zusammenstellen kann.

„Hundstage“ von Signa I R: Signa Köstler, Arthur Köstler, Thomas Bo Nilsson I Schauspiel Köln (Ehem. KFZ-Zulassungsstelle) I vorerst keine weiteren Termine

SANDRA NUY

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