Der Kölner Ernährungsrat, im vergangenen März als erster seiner Art in Deutschland gegründet, lud am Freitag im Ernährungswerk an der Lichtstraße erstmals zu einem Neujahrempfang mit Mitgliedern und Unterstützern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Ausschüsse „Regionale Direktvermarktung“, „Ernährungsbildung und Schulverpflegung“ und „Urbane Landwirtschaft / Essbare Stadt“ haben im Laufe des Jahres ihre Zusammenarbeit mit den zuständigen Ämtern begonnen, um in Bereichen wie der Kita-Verpflegung erste Projekte zu formulieren. Der vierte Ausschuss, „Veranstaltungen“, wird derzeit aufgelöst und ein Ausschuss für „Gastronomie und Lebensmittelhandwerk“ gegründet. Eine wichtige Veranstaltung, für die bereits eine Förderung bewilligt wurde, wird im Herbst dieses Jahres ein erster Kongress sein. Er wird sich in Essen mit internationalen Gästen dem Erfahrungsaustausch innerhalb der sich formierenden Bewegung widmen.
Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes sprach von einem „Meilenstein, der durch die Stadt gerollt ist“ und lobte das Engagement. „Es ist so wichtig, dass wir uns besinnen auf gute Ernährung. Was sind gute Lebensmittel? Das sind doch die, die bei uns vor der Haustür wachsen.“ Nun hoffe sie, dass die Arbeit des Rates nicht nur auf andere Städte abstrahle, sondern auf die Menschen, die sich „auf nachhaltige Ernährung, auf nachhaltige Lebensmittel“ besinnen müssten. Sie selbst verschwende weniger, indem sie in ihrem Mehrfamilienhaus das zu viel Gekochte an die Nachbarn abgebe: „Dann wird das in den Hausflur gestellt und ich schiebe bei den anderen ein Zettelchen unter die Tür.“
Dass der Ernährungsrat sich auch des Themas Bildung angenommen hat, lobte sie besonders. „Wonach ich mich schon lange sehne, ist, dass wir mit guter Ernährung auch wieder in die Schulen, zu den Kindern gehen.“ Sie sehe bei den Schulkindern schon ein zurückkehrendes Interesse am Kochen und empfinde Projekte an Schulen als eine Bereicherung für alle. „Es ist so wunderbar zu lernen, wie jemand aus Syrien kocht, wie jemand aus Afghanistan backt, und so befruchten wir uns gegenseitig und lernen voneinander, was die Ernährung und die Kultur angeht.“
Der Dokumentarfilmer und Ernährungsrats-Vorsitzende Valentin Thurn räumte dem Thema dann auch eine hohe Priorität ein: Manche Kinder würden zwar gern kochen, aber gar nicht in die Küche gelassen. „Da müssen wir auch an diejenigen denken, die vielleicht aus einer Familie stammen, die diese Esskultur nicht mitträgt.“ Daher werde das erste „Leuchtturmprojekt“ des Rates wahrscheinlich beinhalten, „gutes Essen gerade in Viertel zu bringen, die benachteiligt sind in unserer Stadt“.
Laut Thurn interessierten sich inzwischen etwa 20 deutsche Städte für die Gründung eines Ernährungsrates, darunter Bonn und Düsseldorf, Bielefeld und Hannover, Frankfurt und München. „Ich bin sehr gespannt und wir beraten die gerne.“ Er hob hervor, dass es sich um ein „bürgerschaftliches Vernetzungsprojekt“ handle und nicht um ein Expertengremium, auch wenn Experten aus den betroffenen Bereichen dabei seien. Man wolle die Entscheidungen über Ernährung aus fernen Konzernzentralen und Organisationen in die Kommunen zurückholen. „Die Kommunen haben Kompetenzen, die dazu passen: Schulbildung, Flächen, urbane Gärten – all das können die Kommunen gestalten, und da wollen wir mitwirken.“
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, bezeichnete das Geleistete als eine „Wegmarke, auch für andere“. Die Entwicklung einer Ernährungsstrategie für Köln sei eine „gewaltige Aufgabe“, so Remmel vor den Ehrenamtlern: „Sie werden nicht jeden Kölner, jede Kölnerin erreichen.“ Trotzdem sei die Arbeit wichtig, denn man könne den Spruch „Global denken, lokal handeln“ auch umdrehen: „Lokal denken heißt global handeln. Ein Teil der Ursachen der Migrationsbewegungen ist eben auch, dass die Menschen sich dort, wo sie leben, nicht mehr ernähren können beziehungsweise unsere Ernährungsweise dazu beträgt, dass dort Strukturen kaputtgemacht werden.“ Als Beispiel nannte er, dass deutsche Molkereien derzeit mit billigen Milchprodukten anderswo die Märkte zerstörten.
Es sei wichtig, Zeichen zu setzen für eine bessere Zukunft, sagte Johannes Remmel. Eines seien etwa die 2015 in New York von 193 Ländern unterzeichneten „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development Goals): „Manche sagen, das ist von der Qualität her so etwas wie die Erklärung der Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Mit spürbarem Enthusiasmus spricht er von positiver Veränderung in seinem Bundesland: Die Stadt Essen mit ihrem Kohle-und Stahl-Image sei nun die Grüne Hauptstadt Europas 2017, dort werde auch der erste Radschnellweg Europas gebaut und über einen Ernährungsrat diskutiert; NRW sei im Herbst Gastgeber der Weltklimakonferenz in Bonn – und Klima ein Thema das bekanntlich auch mit Ernährung zusammenhinge. „Weltweit ist es so, dass 30 Prozent des CO2-Ausstoßes mit Ernährung zu tun haben. Dass da etwas passieren muss, ist sonnenklar.“
Sternekoch Thomas Bock sorgte beim Empfang für warmes Essen aus der Region, und der Abend machte deutlich, dass die Arbeit des Rates und seiner Ausschüsse viel Dankbarkeit und Unterstützung erfährt. Beeindruckt vom Gestaltungswillen der Menschen ist auch Journalist Günter Wallraff: „Besonders in Ehrenfeld, da geht was los“, erklärt er gegenüber choices. Er lobt Valentin Thurn für das, was er neben seinem Beruf auf die Beine gestellt habe. „Was hier losgeht, ist zukunftsweisend.“
In Ehrenfeld eröffnete letzte Woche auch regulär das Ladengeschäft der ehrenamtlichen Lebensmittelretter von The Good Food, die mit Erzeugern und Großhändlern kooperieren. Der Laden sei in den ersten Tagen ziemlich „überrannt“ worden, erzählt die Inhaberin Nicole Klaski vor geplünderten Regalen. Ihre Mission ist dieselbe geblieben: „Bei uns gibt es nur Lebensmittel, die andernorts aussortiert werden. Das ist zum einen Gemüse, das zu krumm oder zu schief oder zu knuppelig gewachsen ist. Bei der Kartoffel ist es ja ein Unding, dass jede zweite aussortiert wird.“ Zu kleines Gemüse ließen die Bauern stehen. „Wir gehen hin und ernten das nach.“ Darüber hinaus sei es ihr wichtig, den Kunden zu vermitteln, wie viel Mühe die Bauern in die Lebensmitteln stecken. „Hier im Laden wird viel geredet.“
Auf dem Saatgutfestival am 4. März im VHS-Studienhaus ist der Ernährungsrat mit einem Infostand vertreten.
Info: Ernährungsrat | ernährungsrat-köln.de | The Good Food | the-good-food.de
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