Der Andrang ist groß an diesem Samstagvormittag unter der Mülheimer Brücke in Köln-Riehl: Über 350 umweltbewusste Menschen sind dem Facebook-Appell gefolgt. Schuld ist er: Schauspieler Christian Stock, der heute mal nicht die Theaterrobe trägt, sondern stattdessen komische leuchtende orangefarbene Mülllsäcke, triste Handschuhe und ein T-Shirt mit der Aufschrift „K.R.A.K.E.“. Denn am Samstag wurde unter dem Kommando des Müll-Oberkommandants Stocks, der K.R.A.K.E. vor rund eineinhalb Jahren ins Leben rief, das Gebiet um das Kölner Rheinufer von Unrat befreit. Doch warum K.R.A.K.E.? Wer denkt, dabei handele es sich um eine Kölner Kirmes oder etwa Kölsch-Band, darf beruhigt aufatmen. Der Name steht für „Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit“, die im Rahmen des internationalen Projekts „Rhine CleanUp“ als Partner entstand. Rhine CleanUp ist nicht etwa eine Putzfirma oder Werbung für Tolilettenreinigungsmittel, sondern eine in Düsseldorf ansässige Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, mittels gemeinsamen Müllentsorgungsaktionen an verschiedenen Stellen entlang des Rheins – von der Schweiz bis nach Holland – gegen Schmutz anzukämpfen.
Und so wurde an fünfzig verschiedenen Orten in vier verschiedenen Ländern parallel am vergangenen Wochenende fleißig gesammelt und ger(h)einigt, was das Zeug hielt. Grund dazu gibt es ja genug: Die Müllhaufen um den Rhein herum sind alarmierend. „Ich bin ein großer Tierfreund,“ so Stock, der sonst als Schauspieler meist humorig, wenn nicht sogar ironisch herüberkommt, heute aber ausnahmsweise ernst wirkt. „Als Mensch muss man sich immer wieder bewusst machen, dass man hier auf Erden nur Gast ist und dass man sich dementsprechend zu verhalten hat – dass man noch Mitbewohner hat, die auch ein Recht auf ihr Leben haben. Da kann man nicht einfach überall seinen Müll rumfliegen lassen. Ich kann auch nicht verstehen, warum es in manchen Supermärkten immer noch Gurken in Plastik gibt“, so Stock beim morgendlichen Antrittsappell. Obwohl der Schauspieler beruflich stark eingespannt ist, hat er das Kölner Müll-Entsorgungskommando alleine als Privatmensch gestemmt. Fast jedes Wochenende gibt es irgendeine Aufräum-Aktion, zwischendurch besucht er Kitas, um auch schon ganz jungen Kölnern zu zeigen, dass ihre Stadt voller Schmutz und Dreck ist, und so ein Bewusstsein für die Umwelt zu schaffen.
Stock ist aber kein Mensch, der nur lamentiert und meckert, sondern einer, der praktisch anpackt. Und so ging dann auch das – insgesamt von 11 bis 20 Uhr abends dauernde – Aufräumspektakel in zwei Schichten los: Eine Einheit beackerte mit Tütchen und Handschuhen bewaffnet die linksrheinische Seite von der Mülheimer Brücke entlang des Riehler Ufers. Die andere dann von nachmittags bis abends das rechtsrheinische Ufer. Die zugegeben nicht immer angenehme Tätigkeit – seine Nase in Wiese, Sand, Steine und Rhein hineinzubohren und nach Müll zu suchen – ist durchaus gewöhnungsbedürftig und wirft auch ein paar Gewissensfragen auf: Saß ich hier nicht auch schon mal und vergaß – natürlich nur betrunken – meine Flasche? Wessen Zigarettenstummel ist das? Die von einer Freundin? Oder von mir aus dem Jahre 1999? Gemeckert wurde jedoch nicht. Stattdessen wurde sich fleißig in den Müll gebückt und dabei das eine andere nette Gespräch mit anderen Mithelfern geführt.
Auch unter den Fundstücken gab es ein paar Highlights: etwa ein verlorener Ehering oder diverse Schlüssel. Die Mühe scheint sich gelohnt zu haben, wurden doch immerhin beachtliche 500 kg Müll ordentlich in Plastiktütchen gepackt und entsorgt. Und das ist wahrscheinlich noch unterschätzt. Ein Ergebnis, das einerseits Stolz macht, andererseits extrem besorgniserregend ist: Denn dieser ganze Schund lag ja da schließlich vorher da herum. Was dazu wohl der Fisch, die Ameise oder der Baum sagen würde?
Wer auch einmal in die Rolle des Müllmanns schlüpfen möchte und aktiv mit Anderen den Rhein bereinigen möchte, statt nur zu jammern, kann bei einer der alsbald kommenden Entrümplungsaktionen unter dem Kommando des Stocks mitmachen.
Info: K.R.A.K.E. | www.facebook.com/groups/rheinuferkrake | Rhine CleanUp | www.rhinecleanup.org
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Waffe Mensch
nö Theater in der Stadthalle Köln – Theater am Rhein 10/23
Die Kunst der Nachhaltigkeit
„100 Eichen für Köln“ – Aufforsten für die Zukunft – Kunst 06/21
Wende sofort
Students for Future radeln „Ohne Kerosin nach Berlin“ – Spezial 09/20
„Kreative Reduktion als Gestaltungsprinzip“
Ökonom Niko Paech über die Abkehr vom Wachstumsgedanken – Teil 1: Interview
„Austausch ist total wichtig“
Tobi Leifeld ruft ein Klimacafé ins Leben – Spezial 02/20
Die unangenehme Wahrheit
#NeustartKlima-Proteste in Köln – Spezial 12/19
„Die Krisen sind verbunden“
Martin Herrndorf über den Tag des guten Lebens in Ehrenfeld – Interview 09/19
Nicht nur ein Film über Wale
Doku-Premiere „The Whale and the Raven“ im Cinenova – Foyer 09/19
Brücken besetzen
Extinction Rebellion demonstrierte in Köln – Spezial 07/19
„Viele Menschen sehen es nicht mehr ein“
Karin de Miguel Wessendorf über „Die Rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst“ – Gespräch zum Film 05/19
Leute machen Kleider
„Fast Fashion“ im RSJ: Studierende der ecosign präsentieren Projekte – Spezial 01/19
Wendemode
Die janusköpfige Textilbranche: „Fast Fashion" im Rautenstrauch-Joest-Museum – Spezial 10/18
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Eine Historie des Rassismus
Der Kölner Rom e.V. unterstützt Sinti und Roma – Spezial 07/24
Zeitlose Seelenstifter
„Kulturretter:innen“ im NS-Dok – Spezial 06/24
Die Stimme des Volkes?
Vortrag „Was Populisten wollen“ in Köln – Spezial 06/24
Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24
Zwangloses Genießen?
Vortrag „Die post-ödipale Gesellschaft“ im Raum für Alle – Spezial 04/24
Stabiler Zusammenhalt
„Der Streitfall“ in der Stadtbibliothek – Spezial 03/24
Der Traum von Demokratie
#Streitkultur mit Michel Friedman am Urania Theater – Spezial 02/24
Narrative der Armut
Christopher Smith Ochoa in der VHS – Spezial 11/23
„Gedenken ist kein rückwärtsgerichtetes Tun“
Seit rund einem Jahr leitet Henning Borggräfe das NS-Dok – Interview 10/23
Soziale Vision der Wärmewende
Konferenz in Bocklemünd – Spezial 10/23
Klimarettung in der Domstadt
Die 2. Porzer Klimawoche – Spezial 09/23
Alle Hebel in Bewegung setzen
Arsch huh, Zäng ussenander und Fridays for Future beim Gamescom City Festival – Spezial 09/23