Pech für die Schlachtplattler: Ausgerechnet „Bestsellerfresser“ Wolfgang Nitschke musste den Auftritt im Bonner Pantheon krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Da es sich jedoch bei Robert Griess, Jens Neutag und Achim Konejung um geschultes kabarettistisches Fachpersonal handelt, fingen sie das Fehlen des Kollegen routiniert auf und verteilten die satirische Halbjahresabrechnung auf drei. Im Anschluss an Konejungs Eröffnungs-Song zur allgemeinen Panik „Alles wird gut“ demonstrierte Jens Neutag zunächst, wie man Muslimen im Sendung-mit-der-Maus-Stil die christliche Kultur und deren Riten wie das Abendmahl erklärt („Die haben den so lieb, die essen den Jesus auf!“) und gleichzeitig den Klerus vom Kannibalen zu Rotenburg abgrenzt.
Solo-Stand-Up-Nummern wechselten mit Ensemble-Sketchen, begleitet oder abgelöst von Musikeinlagen und Liedern am Klavier. Robert Griess griff bei seinem ersten Solopart in die Vollen und nahm sich die derzeit erfolgreichste deutsche Partei vor. Dazu schlüpfte er in die Gestalt eines verbeamteten Lehrers und Grünen-Parteitagsdelegierten von Mitte Vierzig, Sinnbild für eine Partei, die „Pro und Contra in einem“ verkörpere: „Opportunismus, das können wir besser als die FDP!“ Der grüne Lehrer wirft einen nostalgischen Rückblick auf die Studienzeit, als er höchstselbst eine Fahrrad-Demo organisierte – mit 7 Teilnehmern und „80 Motorradpolizisten in Rautenformation“. Heute dagegen wollten die Grünen nicht mehr nur dagegen sein, sondern „zu den Siegern gehören“, wo sie doch über Personal mit so „tollen Bios“ (Biografien) verfüge wie die Claudia, den Cem, die Renate und den Jürgen, von denen er auch alle ganz lieb grüßen solle. Nur der eigene Nachwuchs macht Sorgen: Sohn Aurelio-Julius ist bei den Jungliberalen.
Spaßpolitiker Gabriel und ein lichtscheuer Freiherr
Sehr vergnüglich auch die anschließend im Ensemble vorgetragenen und kommentierten Kurzmeldungen. Demnach hat SPD-Chef Gabriel seinen Dienst bei der Bundeswehr in der „Bild“-Zeitung tatsächlich als die „24 lustigsten Monate“ seines Lebens bezeichnet [Hab’s nachgeprüft, es ist im Wortlaut so bei bild.de abrufbar. Da besteht also keine Gefahr, dass die SPD zur Spaßpartei werden könnte, d. Verf.] Ganz großes (Melo-)Drama dann, als Jens Neutag einen Text vorlas, den F.J. „Post von“ Wagner zu Guttenbergs Rückzug schrieb. Da bedauert der „Bild“-Poet, dass der Freiherr sich nun in die „fränkischen Wälder“ wie eine „Eule im Dunkeln“ zurückziehe, wo er doch ein „Lichtmensch“ sei. Kommentar des Schlachtplattlers: „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“
Zeit für eine weitere Musikeinlage, nun zum Euro-Zirkus mit seinen Krisenländern. Achim Konejung verulkte am Klavier rhythmisch und melodisch das berühmte „Alexis Sorbas“-Thema, aus dem irischen Folk-Standard „Dirty Old Town“ wurde „Geh’n wir halt klau’n“. Außerdem gab es einige Wortspiele aus der Abteilung naheliegend und bekannt, die auf der Bühne nur noch mit einem nachgeschobenen „höhöhö“ – näh, wat’n Kalauer – präsentiert werden können, aber angesichts der aktuellen Entwicklungen durchaus zulässig sind: So wurde aus Griechenland „Siechenland“, und zum Sommerurlaub im Bunga-Bunga-Land der fröhliche Gesang „Wir fahren gen Italien“ angestimmt.
Vorsicht vor Hähnchen und Hack …
Die zweite Hälfte des Abends begann mit Nummern, die das Motto „Schlachtplatte“ wörtlich nahmen. Zur Eröffnung gab Konejung ein Lied über „Salmonellen, die aus Hähnchen quellen“ zum Besten. Jens Neutag griff das Thema in einem Solopart über Lebensmittelskandale auf und rechnete anhand von aktuellen Reklamezetteln überzeugend vor, dass es mit der Qualität von Supermarkt-Hähnchenfleisch nicht weit her sein kann: „100 Gramm Hähnchenfleisch kosten umgerechnet 19 Cent, 100 Gramm Klopapier 20 Cent. Wenn Essen weniger als Klopapier kostet, dann war es schon vorher scheiße.“ Ähnlich zwingend auch die Schlussfolgerung, die er aus dem Vergleich zwischen den Kosten für die Beseitigung einer überfahrenen Katze durch die Feuerwehr und dem Preis für gemischtes Hackfleisch zog ... Mahlzeit!
Äußerst lebensecht und original wirkte dann, wie Robert Griess eine „kölsche Kraat“ mit entsprechendem Dialekt, zurückgegelten Haaren und Sonnenbrille verkörperte. Gleichwohl ist der Text, den er ihm in den Mund legt, der einer ausgearbeiteten Bühnenfigur. Der Kölsche regt sich über die „Gentrifizierung“ in seinem Viertel auf und beschimpft erstmal das Kabarett, das diese „Großbourgeoisie bespaßt“, die mit „SUV-Bürgerkriegsfahrzeugen“ durch die Gegend fahre. Edelrestaurants statt Eckkneipen, da bleibe nur noch organisierter Widerstand durch vorher verabredetes „öffentliches Synchronrauchen“.
Rampensäue bei der Arbeit
Themen und Figuren der „Schlachtplatte“ deckten das alltägliche Gruselkabinett mit Sorgfalt ab; ähnlich überzeugend hatte Griess zuvor in Form eines Tagebuch-„Slam“ einen völlig entgegengesetzten Typ gegeben, den arbeitslosen Jungakademiker und Prekariatsangehörigen. Einen kurzen Schwenk zur Parodie hochkultureller Formen vollzogen die drei durch die „Lesung“ eines „Dramas“, das sie in Anlehnung an die berühmten „Vagina-Monologe“ „Penis-Monologe“ tauften. Als Hauptfiguren treten auf: Dominique Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi und Jörg Kachelmann.
Mit einer weiteren Hitparade der Verlierer (herausragend: „Winfried Kretschmann & die Stresstest Dummies“ mit „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“) beendeten Griess, Konejung und Neutag den Abend. Es macht immer Spaß, Profis bei der Arbeit zuzugucken, die ihr Rampensau-Handwerk beherrschen. Im Dezember folgt, ebenfalls wieder im Bonner Pantheon und der Kölner Comedia, der nächste Streich mit der „Jahresendabrechnung“ der Schlachtplatte.
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