Iman (Misagh Zareh) steht als Regierungsbeamter in der Warteschleife. Die sehnlichst erwünschte Beförderung lässt schon lange auf sich warten. Umso größer ist die Freude, als er nun doch zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht befördert wird. Das freut auch seine Frau Najmeh (Soheila Golestani), die nicht nur stolz auf ihren Mann ist, sondern auch auf eine größere Wohnung für das Paar und seine beiden Töchter, der Studentin Rezvan (Mahsa Rostami) und der Schülerin Sana (Setareh Maleki), hofft. Als die Familie den Erfolg bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch feiert, hält sich die Freude der beiden Mädchen jedoch in Grenzen. Denn von nun an sollen sie immer den Hijab tragen, ihre Freundinnen mit Bedacht auswählen und auch in den sozialen Netzwerken sehr vorsichtig sein. Die kleinsten ‚Fehltritte‘ der beiden könnten die Stellung des Vaters und der ganzen Familie gefährden. Der Vater wurde jedoch keinesfalls wegen seiner guten Leistungen befördert, sondern weil es bei den gerade ausbrechenden Protesten im ganzen Land nicht genügend Staatsdiener gibt, die ohne Verhandlung hunderte von Todesurteilen unterschreiben. Iman leidet unter dem moralischen Druck, findet aber keinen Ausweg. Noch vor der Aufführung von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (Cinenova, Filmpalette, Odeon, Rex, Weisshaus, OmU im Cinenova, in der Filmpalette, im Odeon und OFF Broadway) letzten Frühling im Wettbewerb von Cannes machte dessen Regisseur Schlagzeilen. Kurz vor den Filmfestspielen postete der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof in den sozialen Netzwerken ein kurzes Statement: „Ich hatte nicht lange Zeit, um eine Entscheidung zu fällen. Ich musste mich zwischen Gefängnis und der Flucht aus dem Iran entscheiden. Schweren Herzens habe ich mich für das Exil entschieden.“ Heute lebt Rasoulof ebenso wie die beiden Darstellerinnen der Töchter unter Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland, weil es nicht zum ersten Mal so wäre, dass Regimegegner:innen des Iran auch außerhalb des Landes bedroht, gekidnappt oder getötet werden.
„Die leisen und die großen Töne“ (Cinenova, Odeon, Weisshaus) ist die dritte Regiearbeit Emmanuel Courcols, der jahrelang als Drehbuchautor mit Philippe Lloret (u.a. „Die Frau des Leuchtturmwärters“) zusammengearbeitet und bewiesen hat, dass er es meisterlich versteht, menschliche und gesellschaftliche Probleme mit einer nie ins Oberflächliche abrutschenden Leichtigkeit zu zeichnen. Allerdings muss man zu Beginn des Films erst einen ,Schlag in die Magengrube‘ verdauen, ehe man sich der wohltemperierten Mischung aus Komödie und Drama hingeben kann: Der erfolgreiche Pariser Dirigent Thibaut erfährt, dass er an Leukämie erkrankt ist und nur durch eine Knochenmarkspende überleben kann. Doch weil er als Kind adoptiert wurde, kommen seine bisher vermeintliche Mutter und Schwester als Spenderinnen nicht in Frage. Daraufhin betreibt Thibaut Ahnenforschung und entdeckt seinen jüngeren Bruder Jimmy, der ebenfalls adoptiert wurde und im Norden Frankreichs ein bescheidenes Leben als Aushilfskoch führt. Ihre erste Begegnung ist eher von Distanz geprägt – und doch entscheidet sich Jimmy, der Knochenmarkspende zuzustimmen. Dann entdecken die beiden zutiefst unterschiedlichen Brüder ihre gemeinsame Liebe zur Musik, speziell zum Jazz. Als der Blaskapelle, in der Jimmy Posaune spielt, der Dirigent von der Fahne geht, entschließt sich Thibaut, einzuspringen und das Orchester fit für einen regionalen Wettbewerb zu machen. So rückt die Musik immer mehr in den Mittelpunkt der Handlung und Ravels „Bolero“ wird zu jenem klassischen Stück, „auf das sich wohl alle einigen können“, wie es Thibaut einmal bei einer Orchesterprobe formuliert. Die populäre Komposition setzt sich dermaßen in unseren Ohren fest, dass man sie zukünftig wohl immer mit „Die leisen und die großen Töne“ in Verbindung bringen wird. Genauso nachhaltig wirkt Courcols ausgefeilte Inszenierung, die in Kombination mit der stimmungsvollen Kameraarbeit von Maxence Lemonnier und dem flüssigen Schnitt von Guerric Catala aus dem Film ein kleines Meisterwerk des humanistischen Kinos macht, dessen emotionale Wirkung einen geradezu beglückt. Das ist auch dem authentischen Spiel der beiden Hauptdarsteller Benjamin Lavernhe als Dirigent und Pierre Lotti als sein Bruder Jimmy zu verdanken, die ihre Figuren mit menschlicher Tiefe ausfüllen und sie uns ans Herz wachsen lassen.
Außerdem neu in den Kinos: die Gruselgeschichte „Heretic“ (Cinedom, Cineplex, Rex, UCI, OmU in der Filmpalette) von Scott Beck und Bryan Woods und das fortgesetzte Animationsabenteuer „Sonic the Hedgehog 3“ (Cinedom, Cineplex, Rex, UCI) von Jeff Fowler.
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