Auch Zeitgenossen, die sich für halbwegs informiert halten, kommen bei der Frage, wer in NRW wo daran arbeitet, neue Autos zu entwerfen, schnell ins Grübeln. Opel: nee – die konzipieren in Rüsselsheim. Audi, BMW und Benz im Süden, VW im Norden. Und der Rest im Ausland. Stimmt aber nicht. Neben Fords John-Andrews-Zentrum in Köln-Merkenich ist das münsterländische Dülmen so ein Ort. Dort designen seit 1993 die Brüder Wiesmann PS-starke Sportwagen für betuchte Käufer. Mehr als 1500 handgefertigte Exemplare sind sie inzwischen losgeworden.
Und dann sind da jetzt zwei Institutionen im Spiel, die sich einen spannenden Wettkampf liefern und von solchen Absatzzahlen schon ganz real träumen. Beide haben sich auf Elektroantrieb konzentriert, beide auf kleine Transporter im Caddy-Format, beide schielen natürlich auch auf den Metropolen-PKW. Und beide haben eine Hochschul-Biografie. An einer Ausgründung der RWTH Aachen war im September der Prototyp des „Street-Scooter“ fahrbereit, gleichzeitig rollte aus der Hochschule Bochum das „BO-Mobil“ ins richtige Leben. Erdacht und umgesetzt von knapp 30 jungen und meist studentischen Entwicklern. „In der Automobilindustrie“, bemerkt ihr Frontmann Cris Okoya süffisant, „konstruiert man mit solch personellem Aufwand gerade mal einen Außenspiegel.“
Die Idee hinter beiden Hochschul-Entwicklungen ist simpel und einleuchtend. Spätestens wenn sich die Zugänge für City-Zonen aus Emissions-Gründen weiter verschärfen oder gar eine Maut für Fahrzeuge mit Abgas ins Gespräch kommt, schlägt die Stunde der Elektrofahrzeuge. Vor allem dort, wo sie Ökostrom laden und im Metropolenverkehr an Rhein und Ruhr dieselgetriebene Transporter ersetzen können. „Street-Scooter“ und „BO-Mobil“ sind beide keine Raum- und Lastenwunder. Aber die Bochumer Konstruktion kann immerhin mit zwei Euro-Paletten oder 26 Kästen Pils beladen werden, mit leichtem Apothekenbedarf sowieso. Auch „Heiners Hausmeister-Service“ wäre mit solch einem Fahrzeug gut bedient. „Wenn sie nicht zuerst hier fahren, dann eben in Städten wie Stockholm“ meint Prof. Wolf Ritschel, einer der beiden Ruhrgebiets-Entwicklungsvorstände, „doch auf Dauer werden in allen hoch belasteten Innenstädten die grünen Plaketten nicht mehr reichen.“
Die Hochschul-Entwicklungen sind sich sehr viel ähnlicher, als man auf den ersten Blick ahnt: Beide bieten ihrer Klientel auskömmlich Raum und Reichweite (120 bis 150 Kilometer) und schwimmen problemlos im Regionalverkehr mit. Beide taugen leicht modifiziert auch zum Personentransport, mit oder ohne Taxischild obenauf. Beide sollen ab 2013 zunächst in kleiner Serie gebaut werden. Und beide bieten ihren potenziellen Kunden an, ab einer gewissen Stückzahl die Ausführung zwischen Baufahrzeug, Botendienst oder Pflege-Mobil quasi maßzuschneidern.
„Wir brauchen jetzt einen Investor, um die Kleinserie mit bis zu 200 Fahrzeugen jährlich vorzubereiten und die Nullserie mit 20 Mobilen zu bauen“, markiert Wolf Ritschel den entscheidenden nächsten Meilenstein. Eine Reihe von „Letters of Intent“ zum Erstbetrieb liege bereits vor. „Bloß den Scheich mit dem unterzeichneten Vertrag“, sagt Cris Okoya, „den haben wir noch nicht.“ Die Vorbereitungen laufen allerdings auf Hochtouren: Als Hersteller sind die „Westfälischen Automobilwerke“ längst gegründet – und eine Werkshalle steht auch zur Verfügung.
Die Konkurrenz aus Aachen ist freilich ein Stückchen weiter – und könnte ihren „Scheich“ schon an der Angel haben: Der trägt ein gelbes Gewand, heißt „Deutsche Post“ und hat ab Sommer 2013 eine erste Flotte von 50 Vorserien-Fahrzeugen geordert. Damit sollen insbesondere im ländlichen Raum Briefe und Pakete umweltfreundlich zugestellt werden. Sofern der Praxistest erfolgreich verläuft, könnte der Startschuss für eine „richtige“ Fahrzeugserie folgen. „Wir sind zuversichtlich“, sagt ihr Konzernvorstand Jürgen Gerdes, „dass das Fahrzeug unseren Postalltag meistern wird.“
Gute Kritiken hat allerdings auch das BO-Mobil im September bei der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) für Nutzfahrzeuge in Hannover gesammelt – nicht bloß, weil man sich so pfiffige Details wie ein selbstaufrollendes Ladekabel einfallen ließ. Das E-Mobil sollte vor allem probegefahren werden. Und der jeweilige Kurztrip übers Messegelände nötigte auch den Cowboystiefel- und Stetson-bewehrten Jungs von „The BossHoss“ ein anerkennendes Daumenrecken ab. Ähnlich freundlich bewertete der Online-Ableger der ZEIT die Hochschul-Entwicklung: Mit dem BO-Mobil zeige man, wie die Zukunft mit lautlosen und abgasfreien Transportern aussehen könnte.
Bloß der in solchen Dingen gern als Autorität konsultierte Prof. Ferdinand Dudenhöffer vom „Center for Automotive Research“ der Uni Duisburg-Essen ist noch nicht ganz überzeugt. Zwar lehnt er einen konkreten Kommentar zum Projekt ab, doch sei es „schon oft in die Hose gegangen, wenn man im Automobilgeschäft die Revolution ausrufen wollte.“ Aber für Revolutionen war man im Revier noch nie zuständig.
www.institut-elektromobilitaet.de | www.streetscooter.eu
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