„Eigentlich sollte das Internet abgeschafft werden“, rotzt Ronja von Rönne ins Mikro, die unter anderem eine Rede hält, weil uns Internetnutzern hier so viel Hass entgegenschlägt. Auf der anderen Seite gibt es in den Tiefen des Netzes aber so viel zu erkunden, und, wenn man gut informiert ist und richtig sucht, findet man eine Menge Wissenswertes und Dinge, die man nie zuvor gesehen hat. So auch die Videos und Podcasts der 29 Nominierten des diesjährigen Grimme Online Awards, die von Jeannine Michaelsen in der Flora durch den Abend moderiert werden und mit spannenden und abwechslungsreichen Themen überraschen. Es geht um Grenzen und darum, diese zu sprengen. Um Rassismus und Hass. Um Armut, Politik, Geschichte, Umwelt, aber auch um Skurriles. Um Randgruppen und Außenseiter.
Nominiert in der Kategorie „Wissen und Bildung“ waren u.a. das interaktive Youtube-Projekt #uploading_holocaust, das sich mit der Frage beschäftigt: Wie gehen Jugendliche heute mit dem Thema Holocaust um? Sowie das vom WDR realisierte Online-Projekt „Inside-Auschwitz“, das mittels einer 360°-Drohne versucht, an den Schrecken von damals noch einmal ganz anders heranzugehen. Ebenfalls nominiert war der interaktive Comic „Ninette“, der sich mit dem Thema Magersucht im bei Jugendlichen befasst. Gewinner dieser Sparte wird schließlich das außergewöhnliche, vom Hessischen Rundfunk produzierte Projekt „Die mit den Händen tanzt“: Protagonistin Laura Schwengber ist darin Gebärdensprachdolmetscherin mit Humor, der es gelingt, ein schwieriges Thema mit Leichtigkeit spielerisch umzusetzen. Antithetisch kombiniert sie Gehörlosigkeit mit Musik, indem sie Konzerte in Zeichensprache übersetzt und so unhörbare Musik hörbar macht. Kein ganz gewöhnlicher Beruf. Dass man durchaus auch Witze und Missverständnisse mit den Händen kreieren kann, beweist sie, als sie den Preis entgegennimmt: „Der Mittelfinger“, lacht sie, „heißt nicht ‚Arschloch‘ oder ‚Fuck You‘, sondern damit ist der Fernsehturm gemeint.“ Daneben erhält auch die Webreportage „Was heißt schon arm?“ von Spiegel Online einen Award in puncto Bildung.
In der Rubrik „Information“ gewinnt der WDR-Kandidatencheck, der ob der Landtagswahl über 1300 Kandidaten genauestens unter die Lupe nahm, bevor in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ das satirisch-lustige Projekt „Datteltäter“ den ersten Preis ergattert. „Datteltäter“, man ahnt es schon, ist eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Muslime in Deutschland und den Vorurteilen, die diesen gelegentlich entgegenknallen. „Bildungsdschihad“ realisiert von Muslimen und einem „Quoten-Christen“, wie er bezeichnet wird. Inspiriert sei das Projekt von Pegida, sagen die Preisträger lachend, als sie die Auszeichnung entgegennehmen. Und es soll nicht die letzte sein: Tatsächlich heimsen die „Datteltäter“ zur Empörung auch noch den Publikumspreis ein. Na, wenn das Pegida wüsste. Vielleicht hätte Henriette Reker, die zuvor eine Rede hielt, doch noch einmal auf die Armlänge Abstand hinweisen sollen. Das vom WDR produzierte Virtual-Reality-Projekt „Der Kölner Dom in 360°“ sahnt einen weiteren Award in jener Kategorie ab: „Bislang gab es Ecken im Dom, die konnte nur Gott sehen“, lautete das Urteil der Grimme-Jury. Dank des WDR und virtueller Realität kann jetzt jeder x-beliebige Mensch an jedem verdammten Ort der Welt den Kölner Dom nicht nur vor Ort – in einer Warteschlange etwa oder mit hübschem ewigen Baugerüst verziert von außen – sondern online aus jeglicher Perspektive von innen betrachten.
Herzerwärmend ist der Blog und Podcast „Wochenendrebell“ eines Vaters, der mit seinem Sohn von Fußballplatz zu Fußballplatz zieht. Ein recht alltägliches Thema, meint man, hätte sein Sohn nicht das Asperger-Syndrom. Die beiden unterhalten sich über schwarze Löcher und die Welt. Über was man halt so spricht. Die Freude der beiden ist groß, als sie den Award erhalten. „Nur ich wäre lieber in der Kategorie Bildung statt Unterhaltung nominiert worden“, beschwert sich der auf der Bühne stehende Sohn. Das Publikum lacht. Überhaupt ist es irgendwie nett, dass trotz Ernsthaftigkeit der Themen dennoch gelacht wird.
Es gibt noch viele weitere Projekte, die nicht alle genannt werden können. Eines steht fest: Die Ideen, die diese Menschen sich ausgedacht und umgesetzt haben, sind gut. Es lohnt sich, sie einmal im Netz anzuklicken. Statt immer nur bei Youporn abzuhängen und zu verdummen. Sofern man dabei nicht angefeindet wird. Aber dann kann man sich ja hierhin wenden: „#ichbinhier“. Eine Initiative, die konsequent gegen Hass und Hetze bei Facebook ankämpft und deswegen den Special Award erhielt.
Preisträger im Netz: „Die mit den Händen tanzt“ | „Datteltäter“ | „Der Kölner Dom in 360° und VR“ | „Was heißt schon arm?“ | „Wochenendrebell“ | „Ihre Wahl - der WDR-Kandidatencheck“
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