Vielleicht war es genau die richtige Entscheidung, die Podiumsdiskussion über das Themenfeld des städtischen „Fuß- und Radverkehr“ unter dem Motto „Gut zu Fuß“ im Saal des Turistarama-Kinos abzuhalten. Wo, wenn nicht in einer Stätte des gepflegten Eskapismus, in der man sich in andere, manchmal bessere Welten entführen lässt, wäre es angebrachter, von einer Stadt zu träumen, die mehr als nur der Bereich zwischen den Straßen ist und auch ohne Automobil erschlossen und geprägt werden kann. Von der Rats- und Wählergruppe „Gut“ organisiert, fanden sich am Dienstag neben Ratsgruppenmitglied Thor Zimmermann auch Ralph Herbertz, Beiratsmitglied des alternativen Verkehrsclubs VCD, sowie der freie Stadt- und Verkehrsplaner Jörg Thiemann-Linden auf der Tribüne des Kinos ein, wo sie von Moderatorin Dr. Christine Kuch befragt wurden.
Manchmal jedoch wird die Kür vor die Pflicht gesetzt. Viel mehr als der Gesprächsrunde fieberte ein Großteil des Publikums der Vorführung eines rund 30 Jahre alten WDR-Films von und mit Kabarett-Legende Heinrich Pachl entgegen, der sich schon Mitte der 80er mit der nicht unbedingt gesunden Liebesbeziehung des modernen Menschen mit seinem Automobil auseinandersetzte, mit dem er eine symbiotische Beziehung eingeht und doch nicht glücklich werden kann. „Homo Blech“ nannte sich das rund dreiviertelstündige Kleinod, das Stargast (und Nebendarsteller) Martin Stankowski in einem einleitenden Vorwort als Musterbeispiel eines deutschen Heimatfilms bezeichnete. Wie, wenn nicht am Beispiel der problematischen und auf Dauer selbstzerstörerischen Liebe des Bundesbürgers zu seinem Wagen, ließe sich der nachkriegsdeutschen Seele besser auf den Zahn fühlen? In einer Zeit und einem Land, in dem Produktivität, Beschleunigung und Rastlosigkeit zu Tugenden geworden sind, strebt der Mensch, so sah es Pachl, die Symbiose mit seinem Automobil an, von der er sich nicht nur persönliche Selbsterfüllung, sondern auch eine Erhöhung seiner selbst erhofft.
Als Protagonist Pachl nach einer zermürbenden Parkplatzsuche den Wagen aufgibt und versucht, sich als Fußgänger durchzuschlagen, muss er feststellen, dass ihn die Automobil-Verweigerung vom Nervenwrack zum gesellschaftlichen Außenseiter degradiert, der einsehen muss, dass die Stadt im kleinen und die Gesellschaft im großen kein Interesse an jenen hat, die sich der motorisierten Selbstoptimierung verschließen und ihnen wenig Raum zur Entfaltung lässt. Was kulturpessimistisch klingt, gerät zu einer spaßigen, oft spitzfindigen Spritztour durch das Köln der 80er, das Pachl dabei mehrmals als restlos zugeparkte, autofreundliche, doch menschenfeindliche Asphalthölle darstellt, in dem der titelgebende „Homo Blech“ zwar stets in Bewegung ist, jedoch nie an einem Ort ankommt, an dem es sich zu bleiben lohnen würde. Die damals satirisch überspitzten Dystopien, die Pachl in manchen Momenten auf Augenhöhe mit Profi-Schwarzsehern wie J.G. Ballard zeigen, haben sich derweil längst bewahrheitet.
Für viele Besucher war damit alles gesagt. Rund ein Drittel der Gäste fand nach einer kleinen Verschnaufpause im Foyer und vor der Tür nicht zu den Plätzen zurück, um dem Impulsvortrag von Jörg Thiemann-Linden beizuwohnen, in dem der Diplom-Geograph und Verkehrsplaner sich verschiedenen Konzepten zur Fußgängerfreundlichkeit in Köln seit Anfang der 90er widmete. Vor dreißig Jahren, so hält es Thiemann-Linden nicht ohne Erstaunen fest, war Köln, was Straßenverkehrskonzepte anging, einer der bundesweiten Vorreiter. Als Mitgestalter von einst weiß er zu berichten, wie schwer es damals schon war, Akzente zu setzen, wenn sie sich kritisch mit dem Automobil-Verkehr auseinandersetzten: „Ich kam damals frisch von der Uni und wollte mitgestalten. Als Neuling wurde man dann mit den Themen abgespeist, die keiner wollte. In meinem Fall waren das die Punkte ‚Porz‘ und ‚Fußgänger‘-Themen.“ Dass es hin und wieder zu Erfolgserlebnissen wie einst auf der Kalker Hauptstraße kommt, ermutigt ihn dennoch. So wurde dort von vier Fahrstreifen auf zwei zurückgefahren, was ein Teilerfolg bleibt, den er immer wieder gern anführt.
Dennoch gleicht das Engagement für eine Stadt der Fuß- und Müßiggänger auch 30 Jahre nach Pachls Plädoyer für die große Entschleunigung dieser Tage mehr denn je einer Sisyphusarbeit, bei der auf jeden Fortschritt drei Enttäuschungen folgen. Zwar lobt Thor Zimmermann von der Guten Wählergruppegruppe an diesem Abend den Teilerfolg der Gründung eines „Amtes für Fuß- und Radverkehr“ im Rahmen des städtisches Luftreinhalteplans, kritisiert jedoch, dass derlei Eingeständnisse doch zumeist Lippenbekentnisse blieben, wenn Blaue Plaketten, City Mauts und Fahrverbote immer wieder kleinlaut gefordert, doch nie aktiv angestrebt würden.
Dabei liegen die Vorteile für die auf der Bühne versammelten Diskussionsteilnehmer so klar auf der Hand. Wer solle etwas dagegen haben, Unfallgefahren zu verringern, Luftverschmutzungen zu senken und durch eine Vergrößerung von Fußgängerzonen Begegnungszonen zu schaffen, die nicht nur den Zusammenhalt und Dialog im öffentlichen Raum ermöglichen sollen, sondern ganz nebenbei auch den Einzelhandel stärken sollen? Dass es ginge und ein funktionierendes Konzept dem Ansehen der Stadt zugutekäme und echtes Metropolen-Flair mit sich brächte, zeigt sich nicht zuletzt anhand der hier hervorgehobenen Fußgängerparadiese wie der Mariahilfer Straße in Wien oder der Hamburger Osterstraße, die als Musterbeispiel für die Möglichkeiten progressiver Verkehrspolitik herhalten, von denen sowohl die Verkehrsteilnehmer als auch die Gewerbetreibenden profitieren. Vielleicht hätte ein Konterpart und Advokat des Automobils der Gesprächsrunde nicht schlecht getan. In der anwesenden Konstellation glich die vermeintliche Diskussion immer wieder einer unisono tönenden Predigt zu den Bekehrten.
Die Frage, ob es sich lohnt, auf ein autofreies Leben in der Stadt hinzuarbeiten, hat sich Ralph Herbertz vom Verkehrsclub VCD längst rechnerisch beantwortet: „Durch regelmäßige körperliche Betätigung, auf dem Rad oder laufend, gewinnt ein Mensch rund eineinhalb Jahre Lebenszeit dazu, wie es eine WHO-Studie vor kurzem ergab. Stadtluft mit Smog oder Feinstaub könnte ihn, so glaubt er, im schlimmsten Fall etwa 18 Tage Lebenszeit kosten. „Die Bilanz ist also relativ eindeutig.“ So bleibt lediglich die Frage bestehen, was es für eine Stadt im Speziellen und Gesellschaft im Allgemeinen sein soll, in der man seine hinzugewonnene Lebenszeit verbringen möchte. Gerade im Kontrast zum dystopischen Grantler Pachl tun solch kleine Utopien durchaus gut.
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