Männer und Frauen, die das Leben vergessen hat. Wie skurrile Relikte aus den 70er Jahren hocken die sieben Figuren aus Botho Strauß’ Stück „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ auf abgewetzten Sesseln: Sie tragen riesige Brillen und die hautenge Mode der Hippies, aber ihre Langhaarmatten sind ergraut. Drei Ehepaare, von denen jeder schon mal was mit jedem hatte, und ein Mann, genannt „das Opfer“, weil er durch einen Autounfall schwer verletzt wurde. Die Personen haben sich zu einer Wohngemeinschaft der grässlichen Gewohnheiten arrangiert, leben in einem abgewrackten Hotel in Königswinter und pflegen seltsame Passionen – etwa für Turniertanz. Erst als der Hotelbesitzer das Etablissement verkaufen will, erwacht man aus der Lethargie, rebelliert und treibt den Hotelbesitzer zum Freitod in der Gefriertruhe.
1974 schrieb Botho Strauß sein Spottstück auf die monströs-spießige Bourgeoisie, ein Frühwerk, dessen Titel sich besser durchsetzte als der Text selbst. Im Düsseldorfer Schauspielhaus hat es nun Regisseur Stephan Rottkamp ausgegraben und zeigt es wie einen archäologischen Fund im Eis: Kunstschnee rieselt permanent auf der karg eingerichteten Bühne von Robert Schweer auf die betagten Ex-Hippies herab, während sie von den großen Menschheitszielen schwärmen. Aber zu mehr als dem Heile-Welt-Kitsch zwischen Schlager und Paartanz reicht es nicht. So schrumpfen Ideale aufs lebenspraktische Mittelmaß. Nur die Ursachenanalyse für die grassierende Trivialisierung wirkt heute abgedroschen: Das böse Fernsehen ist an allem schuld. Regisseur Rottkamp versucht gar nicht erst, die 70er Jahre-Deutschland-Kritik von Botho Strauss zu aktualisieren, sondern nutzt vielmehr das Altmodische des Stückes, um die Komödie noch komischer zu machen. Und er legt sehr gekonnt die vielen Sprachschichten des Stückes frei: Mal reden die Figuren, als wären sie Actionhelden, mal säuseln sie wie Stars einer Romantikschnulze. So zeigt Rottkamp clever, wie die Unterhaltungsindustrie auch unsere Sprache und unser Verhalten manipuliert, den Menschen zu einer Karikatur seiner selbst werden lässt. Ein bissig-amüsanter Abend über die Banalität des Lebens, der im Medienzeitalter keiner entkommt.
„Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ I R: Stefan Rottkamp I Düsseldorfer Schauspielhaus I 16./27.2., 19.30 Uhr I www.duesseldorfer-schauspielhaus.de
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