In Zeiten, in denen Öffentlichkeit und Privatheit immer stärker ineinander aufgehen, kann schon mal das eine für das andere stehen. Während die Brüder Paul und Jonas Baeck ein intimes Gespräch über die Liebe zu Eva auf den Straßen zwischen Dom und Sudermannplatz führen, sitzen die Zuhörer heimelig im King Georg und lauschen ihnen. Das Livehörspiel „Brüderchen und Schwester“ ist der dritte Teil der Reihe „Die Stimmen der Dinge“, der diesmal von den Baeck-Brüdern und den Musikern Gregor Schwellenbach sowie Matthias Kapohl bestritten wurde. Zunächst diskutieren die beiden Brüder den Zusammenhang zwischen Liebe und Kälte sowie Zittern, dann Vilèm Flussers Aufsatz „Wände“ über die Kultur als Dekoration und Camouflage der „natürlichen“ nackten Wände. Und dann geht es durch die Nacht mit Eva in mind, die für Jonas nach wie vor etwas Besonderes ist, auch wenn er längst mit Katrin zusammen ist. Diese Eva, die angeblich auch im King Georg sitzt, soll nun endlich erfahren, wie wichtig sie einmal war und vielleicht immer noch ist. In drei Kapiteln, die unterbrochen werden durch Musik und Dialogloops, streunen die Brüder in Richtung King Georg. Und da man seiner Kultur nicht entkommt, wie Flusser sagt, wird Eva zur Inkarnation aller Frauen, deren Bedeutung endlich gewürdigt werden soll. Angeleitet von Paul muss Jonas einen Parcours der Mutproben durchlaufen: Er soll fremden Menschen Rosen schenken (schwieriger als gedacht), Komplimente machen und ein Ständchen singen – nur um am Ende Eva das Geständnis zu machen. Und damit die Schluchten der Großstadt nicht zu nackt erscheinen, werden sie mit Assoziationen wie Traum, dunkler Wald oder Schloss dekoriert – ein romantischer Märchenüberhang, der schon im Titel anklingt. Alles eine Frage des kulturell überformten Blicks. Und auch die theaterreflexive Ebene fehlt nicht: Streit um Dialogsätze, übersprungene Passagen, Verweise auf Scripted Reality. Am Ende wird dann natürlich doch alles gut: „Ich liebe Katrin“, ruft Jonas lauthals ins ausverkaufte King Georg – Eva wird es verschmerzen. Den Schlusspunkt der vierteiligen Reihe „Stimmen der Dinge“ setzt im März Philine Velhagen.
„Die Stimmen der Dinge IV“ | R: Philine Velhagen | 17.-19.3. 20 Uhr | King Georg | 0177 654 54 68
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mit zwei Krachern ins neue Jahr
Jesse Davis Quartet und European All Stars in Köln – Improvisierte Musik in NRW 01/24
Gemeinsame Heimat
Ulf Meyer / Martin Wind Quartet im King Georg – Musik 10/22
„Wohnraum wird immer knapper“
Philine Velhagen über „Wohnungsbesichtigung – eine Life-Show“ – Interview 11/19
Let`s Swing – beim King
Köln erhält wieder einen echten Jazzclub – Improvisierte Musik in NRW 09/19
Mütter und Mothers
Junge Mütter, männliche Mütter und Großmütter – Unterhaltungsmusik 02/19
Neue Namen, alte Bekannte
Überraschungen und Altbewährtes zum Jahresausklang – Unterhaltungsmusik 12/18
Stumpf ist Trumpf?
Auf der Bühne können auch niedrige Intelligenzlevel Spaß machen – Unterhaltungsmusik 11/18
Kunst greifbar machen
Das Palais Temporär und die performativen Künste in Köln – Spezial 09/18
Entschwulender Hokuspokus
Coming-out in der Spießerstadt: Garrard Conley liest aus „Boy Erased“ – Literatur 06/18
Zugehört
Philine Velhagen inszeniert „I am your private dancer“ im Freien Werkstatt Theater – Auftritt 04/18
Nüchterne Eier
Marie Rotkopf mit „Antiromantisches Manifest“ im King Georg – Literatur 03/18
„Abhören verändert die Vergangenheit“
Philine Velhagen über ihren Theaterabend „I am your private dancer“ – Premiere 03/18
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24
Die Grenzen der Freiheit
„Wuthering Heights“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/24
Erschreckend heiter
„Hexe – Heldin – Herrenwitz“ am TiB – Theater am Rhein 05/24
Verspätete Liebe
„Die Legende von Paul und Paula“ in Bonn – Theater am Rhein 05/24