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„Die Verwandlung“, v.l.n.r.: Renato Schuch und Rosario Tedesco
Foto: Oliver Fantitsch

Im Reich der leeren Zeichen

01. Dezember 2009

Kafka-Abende im Schauspielhaus und in der Orangerie - Auftritt 12/09

Am Anfang war das Wort – und am Ende auch. Fünf Schauspieler in schwarzen Anzügen stehen zu Beginn von Antonio Latellas Inszenierung „Die Verwandlung und andere Erzählungen“ im Kölner Schauspielhaus neben Buchstabentafeln mit dem Namen Kafka. Am Ende rollen sie Rasenstücke zusammen und schreiben das Wort „Wiese“ auf den Boden. Es gibt kein Entkommen aus dem Reich der Zeichen, schon gar nicht für einen Schriftsteller. Als Basis des Abends dient Kafkas Novelle „Die Verwandlung“ um Gregor Samsa und seine Mutation in einen Käfer, die mit Werken wie „Vor dem Gesetz“, „In der Strafkolonie“ oder dem „Brief an den Vater“ verschnitten wird. Doch anstatt Inhalte durchzubuchstabieren, sucht Latella nach Bildern, die Atmosphäre, Struktur und Sprache in Kafkas Werken nachspüren. Da wird ein Darsteller hinter einem Stapel Schrifttafeln eingemauert, während seine Kollegen in Tiermasken aus der „Strafkolonie“ zitieren. Sisyphoshaft trägt der Eingeschlossene den Berg wieder ab und verwandelt sich in Gregor Samsa, auf den Stimmen der Familie aus dem Off wie ein Sturm niederfahren. Danach werfen sich die Männer in Frauenkleider und zetern slapstickartig auf den ungeratenen Sohn herab.

Der zweite Teil kommt als groteskes Scherzo daher. Gregors Eltern verwandeln sich in nackte Gummimännchen, seine Schwester in eine Latexpuppe, während er im Labyrinth der Schrifttafeln Zuflucht sucht. „Ihr versteht mich nicht“ lautet sein Fazit, und es ist klar, dass damit der Schriftsteller Franz Kafka gemeint ist. Latella gelingt ein durchaus eindrucksvoller Bilderreigen, der zwar Kafkas Erzähldramaturgie sinnfällig übersetzt, dessen biographischer Anker aber als Werkinterpretation letztlich zu schmalbrüstig bleibt – und der mit dreieinviertel Stunden entschieden zu lang ist. Kurz darauf hatte in der Orangerie Joby Joppens Interpretation von Kafkas „Ameri-ka“-Roman Premiere. Die Beschreibung von Karl Rossmanns Reise ins gelobte Land ist auf einen Monolog zusammengekürzt. Ben Steinhoff in einem hässlichen himbeerfarbenen Anzug schleppt einen Schrankkoffer herein, steht energetisch wippend zwischen herabhängenden Folien und formuliert mit Martin Luther Kings „Ich hatte einen Traum“ das Motto des Abends. Karl Rossmanns Werdegang in der neuen Welt entpuppt sich dann kafkagemäß natürlich als Albtraum, vom Betrieb des Onkels über die Arbeit als Liftboy bis zur Begegnung mit den zwielichtigen Delamarche und Robinson.

Joby Joppens Regie verlegt sich eher auf eine einfühlende Nacherzählung denn eine Deutung. Der gehetzte Ton des Beginns verliert sich, und Ben Steinhoff findet zu einem stimmigen Wechsel zwischen Bericht und subjektiver Perspektive, wobei die ironischen Stimmimitationen von Rossmanns Gesprächspartner stören. Letztlich bleibt der Abend als Kritik am Kapitalismus, undurchschaubaren Abhängigkeitsverhältnissen oder Beschreibung eines Migrantenschicksals aber in seinem interpretierenden Zugriff zu unscharf. Kein guter Monat für Kafka.

Franz Kafka: „Die Verwandlung und andere Erzählungen“ Schauspielhaus I 6./9./ 14./17.12. Franz Kafka: „Amerika“ I Orangerie I 10.-13.3.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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