Oblomow schläft. Da hilft kein Bitten, kein Flehen, kein Krach. Sein Bettsofa ist die feste Burg, die zu verlassen ihm so unendlich schwer fällt. Mit der Decke über dem Kopf entzieht er sich der Anstrengung, Entscheidungen treffen zu müssen. Doch das Leben kümmert das wenig, es vergeht. Einfach so. Irgendwann sind zum Glück auch die drei Stunden und 30 Minuten vergangen, die Alvis Hermanis inklusive einer Pause braucht, um in der Halle Kalk diese Geschichte über Lethargie, Passivität und Melancholie zu erzählen.
Die Romanvorlage von Iwan Alexandrowitsch Gontscharow aus dem Jahr 1859 setzt Hermanis in ein fast schon filmisch wirkendes Ausstattungstheater um. Kristine Jurjane hat mit naturalistischer Liebe zum Detail eine Guckkastenbühne gebaut, in der die Schäbigkeit der Wohnung Oblomows bis hinein in die Wasserflecken an der Wand ausgemalt ist. Dessen Diener Sachar (Albert Kitzl als treuer Seelenverwandter seines Herrn) schläft neben dem Ofen, ein großes Fenster lässt Morgenlicht auf den Bretterboden und zwischen die Flügeltür fallen. Stimmungsvoll ist das alles und nur unwesentlich gebrochen durch die grotesken Fettbäuche, mit denen alle Figuren ausstaffiert worden sind. Um Ironie scheint es nicht zu gehen, dazu ist der Tonfall zu beiläufig. Handlungen hingegen sind symbolisch aufgeladen.
So demonstriert Oblomows Jugendfreund Stolz, dem Martin Reinke eine moderne, tatkräftige, aber auch nervöse Energie mitgibt, bei seinem Besuch einen fotografischen Apparat. Gute 20 Jahre alt war das Medium bei Erscheinen des Romans. Mit ihm wird es möglich, den Augenblick verweilen zu lassen, die Zeit festzuhalten. Etwas, was Oblomow nicht will – oder kann. Er lebt nicht im Hier und Jetzt, sondern im Fluss des Müßiggangs.
Gundars Abolins zeichnet diesen sehr bourgeoisen Phlegmatiker als larmoyanten und lebensuntüchtigen Tagträumer. Als jemanden, der sich in seiner weinerlichen Trägheit eingerichtet hat und der seine große Liebe Olga (Dagmar Sachse) ziehen lässt, weil ihn die Angst vor der eigenen Courage überfällt. Am Ende dann, Oblomow ist tot, verkriecht sich sein einstiger Gegenpol Stolz in dessen Bett. Sind wir nicht alle ein bisschen Oblomow? Oh ja, und sei es, dass wir im Theater einschlafen wollten
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