„Vor dem Gesetz“ ist von Kasper König in seiner letzten Spielzeit als Direktor am Museum Ludwig (gemeinsam mit Thomas Trummer von der Siemens Stiftung) kuratiert worden; es ist etwas Besonderes, wie er diese Ausstellung konzipiert hat. Ausgehend von der hauseigenen Sammlung und dem Wissen um die künstlerischen Transzendierungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts hat er eine Schau entwickelt, bei der jedes Kunstwerk zunächst für sich präsentiert ist.
Aber daraus ergeben sich Dialoge, die mitunter sanft verblüffen. „Vor dem Gesetz“ handelt von der Gleichheit aller Menschen, in ihrer Existenz sowie als Teil unserer Zivilisation, und von der Verletzung dieser Gleichheit. Dazu vermittelt die Ausstellung mehr Ahnungen und verhält sich im Grunde parallel zum intuitiven Vorgehen der Künstler, deren Werke sich tatsächlich als sehr genau erweisen.
Ein Akzent der Ausstellung liegt auf den mittlerweile teils vergessenen skulptural „klassischen“ Menschendarstellungen der bildhauerischen Moderne um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Figur ist hier auf sich zurückgeworfen, in sich versunken und sie definiert ihren eigenen Radius, etwa bei den Plastiken von Gerhard Marcks oder – in „Erfühlung“ der Außenwelt – Reg Butler und Germaine Richier. Eine Form des Ausgeliefert-Sein vermittelt der Reiter auf dem stürzenden Pferd, bei Marino Marini. Das Kreatürliche des Pferdes – ein Leitmotiv des berühmten italienischen Bildhauers – ist genauso, wenn nicht gar mehr auf den Menschen selbst gemünzt. Das Motiv des Geschlagenen, Gefallenen findet sich aber ebenso, in der Ausstellung, bei der Skulptur von Henry Moore. Derartige Kunstwerke sind vor dem Hintergrund der Weltkriege in Zeiten großer Armut entstanden. Diese Betonung des Existenziellen realisiert die Ausstellung mit Skulpturen nicht nur mit kippenden oder verknappten Gestalten, sondern auch mit einer in sich ruhenden Leiblichkeit, bei der die Glieder verschränkt sind. Unter diesen frühen solitären Skulpturen der Ausstellung bezieht sich Ossip Zadkine ganz unmittelbar auf die Erlebnisse des Krieges. An Stelle des Introvertierten tritt das Expressive.
Ganz anders dagegen stellt sich das Bild des heutigen Menschen dar, der von Konsum, der Macht der Konzerne, der Virtualität des Internets und Ersatzmythen beherrscht wird. Tatsächlich wird es in unserer Gegenwart unübersichtlich und schnell, überlagern sich die Befindlichkeiten und Motive, nun wird auch die Ausstellung ausgreifend und bezieht unterschiedliche kulturelle Kreise ein, hält dabei aber auch die Zeit an. Eminent zeitpolitisch sind die Darstellungen von Thomas Schütte und Andreas Siekmann, wobei dem ersten in seinem Stahlguss „Vater Staat“ allgemeingültige Aussagen zur Macht des Staates über das menschliche Individuum gelingen. Wie Schütte nimmt auch Andreas Siekmann frühzeitliche Modi und Modelle auf und transformiert sie in die aktuelle Gegenwart. In seiner raumgreifenden, mehrere künstlerische Medien zusammenführenden Installation „Dante und Vergil gehen durch die Welt“ bezieht sich Siekmann auf die „Göttliche Komödie“ und deren Illustrationen durch Botticelli, um daraus das Entstehen einer Vierten Gewalt, die Kontrolle durch die Staatsmacht über die mediale Transparenz abzuleiten.
Überzeitlicher, knapper bringen dann Pavel Althamers „Bródno People“ den Aufbruch und Widerstand des Einzelnen und der Menschenmasse gegenüber einer Obrigkeit zum Ausdruck. Dem liegt eine gesellschaftliche Konzeption und mithin Utopie zugrunde. Anschließend an frühere Projekte hat Althamer die lebensgroßen Figuren durch seine Nachbarn im Wohnblock des Warschauer Viertels als Selbstporträts für die Kontaktaufnahme mit Außerirdischen errichten lassen und in seine eigene Formensprache übersetzt. Zugleich bezieht sich dieser Zug der Figuren auf die „Bürger von Calais“, die, als Plastik umgesetzt von Auguste Rodin, 1347 bereit waren, zum Schutz ihrer Stadt zu sterben. So abstrakt, typisiert nun die so verschiedenen „Bródno People“ zu sein scheinen – und vielleicht auch an Spielzeug-Figuren erinnern – so sehr sind sie doch Individuen, mit ihrer eigenen Geschichte und eigenem Charakter.
Es wäre noch auf weitere Arbeiten wie auch weitere Aspekte dieser klugen Ausstellung hinzuweisen – tröstlich ist doch auf alle Fälle, dass durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch und bis in die Gegenwart die Künstler den Menschen nicht vergessen haben. Ja, dieser ist der zentrale und innige Gegenstand ihres Tuns.
„Vor dem Gesetz“ | bis 22. April im Museum Ludwig als gemeinsame Ausstellung mit der Siemens-Stiftung | www.museum-ludwig.de
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