Am 7. Januar verübten islamische Fundamentalisten, Sympathisanten von Al-Qaida im Jemen, einen Anschlag auf die freien Gesellschaften in Europa – vor allem auf unsere Meinungs-, Presse- & Kunstfreiheit: Sie töteten elf Personen und löschten nahezu die gesamte Redaktionsriege des bedeutendsten französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ aus, just an dem Tag, an dem in Frankreich Michel Houellebecqs neuer Roman „Unterwerfung“ erschien und sich das zerknitterte Gesicht des Paradiesvogels der französischen Literatur als Karikatur auf dem Titelblatt des Satiremagazins wiederfand. Houellebecq floh als erste Reaktion aus Paris und sagte alle Termine ab. Umso bemerkenswerter war sein Auftritt im Rahmen der lit.Cologne am 19. Januar im Depot des Kölner Schauspiels – auf offener, großer Bühne.
Klar, durch den schrecklichen Anschlag hat die erste Lesung aus dem Roman ein ganz und gar außergewöhnlich großes Interesse weltweit ausgelöst. Das Depot 1 war unabhängig von der neuen Situation seit Wochen restlos ausverkauft. Auf der Warteliste standen jetzt allerdings zusätzlich 40 Journalisten aus ganz Europa. Vor dem Hintergrund der Pariser Anschläge liest man Houellebecqs Vision einer muslimischen Präsidentschaft im Frankreich des Jahres 2022 plötzlich mit anderen Augen und Erfahrungen. Man betritt das Depot in Köln-Mülheim mit einem zwiespältigen Gefühl: Dem Gefühl, Teil einer besonderen Gefährdungslage zu sein und dem Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die trotz vieler Unterschiede und Konflikte die gleichen Werte teilt und die sich durch durchgeknallte religiöse Fanatiker auf keinen Fall einschüchtern lassen wird. Koste dies was es wolle. Letzteres ist die Botschaft, welche von einem eher schmucklosen Podiumsgespräch mit dem Autor und einer simplen, unaufgeregten Lesung seines Textes in Köln-Mülheim in die Welt hinaus ging. Ein starkes Signal aus unserer oft zu recht – ob ihres dumpfen Lokalpatriotismus und ihrer behäbigen Mittelmäßigkeit – gescholtenen Stadt.
In Houellebecqs neuem Roman „Unterwerfung“ geht es wie bereits in „Elementarteilchen“ oder „Plattform“ um seelenlosen Sex. Es geht um Sado-Masochismus, es geht um die Unterwerfung einer ganzen Nation unter den Islam, ein System, das scheinbar wieder Ordnung und Moral in eine werte- und haltlose Gesellschaft bringt, die sich komplett dem Konsum überantwortet hat. Der Roman spielt im Jahr 2022. In Paris regiert ein muslimischer Präsident. Frankreichs Unterwerfung wird aus der Sicht eines depressiven, sexsüchtigen Literaturprofessors erzählt, der sich nach moralischen Leitplanken sehnt, Europa am Ende sieht und daher zum Islam konvertiert: „In den schwierigen Zeiten, in denen wir leben, ist auch ein solcher Lebenslauf plausibel“, sagt Houellebecq gegen Ende der Veranstaltung. Er denkt in diesem Moment an sein Frankreich, seine Inspirationsquelle, das Gefäß und den Nährboden seiner Obsessionen. Im Depot des Kölner Schauspiels war von Werte- und Haltlosigkeit an diesem Abend nichts zu spüren. Ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen und Zwischenfälle ging‘s hinaus in die kalte Winternacht. In Köln ist die Welt an diesem Abend dann doch noch ganz schön in Ordnung.
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