Als Bildmetapher hat es sich längst ins Hirn eingebrannt. Zur Ausstattung eines Tonstudios gehören neben dem üblichen Aufnahmeequipment verpflichtend die bürgerliche Couchgarnitur und eine schäbige Küchenzeile. Die Dialektik ist auch in der Schlosserei kaum zu übersehen. Hinter einem Ledersofa und Sesseln erhebt sich eine Wand aus Schlagzeugbox (Bühne: Jo Schramm) und Marshall-Lautsprechern, die den akustischen Pegelstand des Abends anzeigen und mit dem Metallica-Hit „Some kind of monster“ gleich sattsam austesten.
Unter dem bezeichnenden Titel „Mentallica“ verschneidet das Regieduo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner die verfilmte Erzählung „Industrielandschaft mit Einzelhändlern“ von Egon Monks aus Jahr 1970 mit dem berühmten Burnout der Band Metallica im Jahr 2001. Sie bekam damals ihre Krise nur mit Hilfe eines Psychotherapeuten in den Griff und dokumentierte den Heilungsprozess gleichzeitig marktgerecht in einem Film. Als Heavy Metal-Karikaturen mit Haarmatte, Hawaiihemd und schwarzen Hosen hängen Robert Dölle, Paul Fassnacht, Andres Grötzinger und Knarf Rellöm (der für die Musik verantwortlich zeichnet) auf dem Sofa ab. Sie stammeln wortkarg über Riffs oder Gitarrenläufe, brüllen sich bei den Proben fürs neue Album an und lassen sich von Therapeutin-„Gut, dass du das angesprochen hast“-Phyllis (Suse Wächter, die auch als Puppenspielerin zum Einsatz kommt) auf die Psycho-Couch legen.
Die Krise entpuppt sich nicht nur als Zwiespalt zwischen vermarkteter Rebellion und privater Bürgerlichkeit. In der Band spiegelt sich die bürgerliche Familie als Urzelle des Kapitalismus mitsamt ihren Verwerfungen („20 Jahre Hass, 100 Mio. verkaufte Platten“). Die Psychotherapie wird zum Werkzeug, die das individuelle Versagen mit dem drohenden Marktversagen wasserdicht verschweißt und die Heilung als Reetablierung im Musikbusiness verkauft. Von da ist es dann nur noch ein Schritt zum Drogisten in „Industrielandschaft mit Einzelhändlern“.
Egon Monk, der frühere Mitarbeiter Brechts und Begründer des politischen Fernsehspiels beim NDR, führt seinen Protagonisten als scheiternden Selbständigen vor, der der Konkurrenz von Großhändlern und -märkten nicht standzuhalten vermag. Der Reiz liegt darin, dass der Weißkittel (im Wechsel gespielt von Jürgen Kuttner und den Bandmitgliedern) ein überzeugter Wirtschaftliberaler ist. Kühl analysiert er mit Blick ins Publikum die Abläufe seines Arbeits-, Geschäfts- und Privatlebens und versucht, sie bis zur totalen Marktkonvergenz zu optimieren. Doch der Niedergang – selten war das Wort von der Eigendynamik treffender – ist nicht aufzuhalten. Schließlich steht er nebelumwölkt in der Schlagzeugbox und beschreibt in lyrisch-existenzialistischen Phrasen die Dynamik als rasenden Stillstand. Beide Erzählstränge laufen zwar nebeneinander her, spiegeln sich aber ständig ineinander und haben unverkennbar einen gemeinsamen Nenner: Kapitalismus (un)plugged.
„Mentallica“ von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner Schlosserei 3./15./27./28.3.
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