Gehaltsverhandlungen sind für viele Menschen eine unangenehme Angelegenheit. Doch umso schwieriger scheinen sie sich in der aktuellen wirtschaftlichen Lage zu gestalten. Wie verhandelt man während einer Inflation und was sind generelle Tipps für ein erfolgreiches Gehaltsgespräch?
choices: Frau Schulte, ist die Inflation ein Grund, den man in einer Gehaltsverhandlung vorbringen sollte?
Nicole Vanessa Schulte: Das ist ein klares Nein. Mitdenken sollte man sie auf jeden Fall. Aber: Wir unterscheiden ja grundsätzlich zwei Gruppen von Menschen, die aktuell über das Thema Gehaltsverhandlung nachdenken. Da haben wir die einen, die in einem festen, ungekündigten Anstellungsverhältnis sind und die möglicherweise schon recht lange unzufrieden auf ihrem Gehalts-Package sitzen – und jetzt aufgrund der Inflation wachgerüttelt werden. Und wir haben die zweite Gruppe, die sich wegen eines Jobwechsels aktuell in Verhandlungsgesprächen befindet. In beiden Fällen sage ich: Das Thema Inflation sollte man auf jeden Fall deutlich auf dem Schirm haben und entsprechend in der Vorbereitung berücksichtigen. Aber als offen adressierten Punkt in der Verhandlung selbst: Nein. Und dafür habe ich ein klares Argument: Das Thema Inflation betrifft beide Seiten, sowohl mich als Mitarbeiter:in oder auch als Jobsuchende:r, aber es ist natürlich auch das, was Unternehmen und Betriebe aktuell gedanklich umtreibt. Und insofern sage ich: Das kann recht schnell nach hinten losgehen. Aber man sollte das Ganze für sich selbst gerne als Anlass nehmen, um die lang aufgeschobene Gehaltsverhandlung anzugehen. Das heißt, wenn ich mich aktuell in Verhandlungsgesprächen für einen neuen Job befinde, dann mache ich mir ohnehin eine Vorbereitungsliste und notiere, was ich bisher an Gehalt bekommen habe, brutto, was an Sonderzahlungen da war und was ich an betrieblicher Altersvorsorge hatte. Auch Sportangebote, wie ein bezuschusstes Fitnessstudio, Sozialleistungen und die subventionierte Verpflegung in der Kantine bei dem bisherigen Arbeitgeber sollten auf der Liste nicht vergessen werden. Und basierend darauf überlege ich mir dann entsprechend auch, was mein Wunsch und mein Ziel ist – wie ich mir vorstellen kann, die Inflation auszugleichen. Ich nehme das also auf diese Weise mit in das Verhandlungsgespräch hinein.
Welche generellen Kniffe und Tricks gibt es für Gehaltsverhandlungen zu beachten?
Eine gute Vorbereitung ist das A und O. Wenn ich eine Verhandlung in meinem Sinne erfolgreich abschließen möchte, dann komme ich um eine gute Vorbereitung nicht drum herum. Und gerade momentan muss ich ganz besonders gut vorbereitet sein. Und zwar deshalb, weil das Thema Finanzen die Unternehmensseite natürlich auch besonders beschäftigt und weil möglicherweise auch Kolleg:innen auf die Idee kommen, das Thema Gehaltsanpassung aktuell anzugehen. Also eine gute Vorbereitung heißt, wenn wir auf die Zielgruppe der Jobsuchenden schauen, dass sie zum Beispiel auch Dinge wie betriebliche Altersvorsorge, bezahlte Überstunden mitdenken, damit sie wirklich eine vollumfängliche Übersicht haben. Das ist etwas, was ich in der Praxis häufig erlebe bei den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, dass irgendwelche Vergütungskomponenten schlichtweg vergessen werden. Und das ist dann am Ende des Tages bitter. Denn wenn ich erst mal mit meiner Gehaltsvorstellung reingegangen bin in das Gespräch, dann ist es nur noch selten möglich, das noch mal nach oben zu korrigieren. Das ist also ein ganz wichtiger Punkt. Außerdem: Sich selbst bei den Gehaltsvorstellungen einen Spielraum eröffnen und zu sagen: Ich definiere zum einen meine absolute Schmerzgrenze nach unten. Dann überlege ich mir aber auch: Was ist denn mein Maximalziel? Und das ist die Hausnummer, mit der ich reingehe. Und dazwischen erlaube ich mir auch eine gewisse Flexibilität. Das Ganze nennt sich nicht ohne Grund Verhandlung. Ich brauche einen Spielraum, damit auch mein Gegenüber handlungsfähig ist.
Und bei den Menschen, die sich aktuell schon in einem Angestelltenverhältnis befinden und eine Gehaltsanpassung erreichen möchten, die sollten sich überlegen: Was ist ein guter Zeitpunkt? Dinge mitdenken, wie: Ist mein:e Chef:in gerade schon sehr gestresst? Dann ist es wahrscheinlich kein guter Tag. Dann schaue ich, ob ich vielleicht am nächsten Tag in das Gespräch gehen kann, wenn meine Führungskraft schon etwas entspannter ist. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Und am besten gehe ich in das Gespräch hinein, nachdem ich zum Beispiel gerade ein Projekt erfolgreich durchgeführt habe. Ich verargumentiere meinen Gehaltswunsch dann mit Leistungen, die ich erbracht habe – und nicht mit einer Inflation, der wir alle ausgesetzt sind.
Was sollte man in der angespannten Wirtschaftslage allgemein vermeiden bzw. beachten?
Also definitiv die Unternehmensseite mitdenken und auch überlegen: In welcher Art Unternehmen bin ich denn tätig? Wenn ich beispielsweise in einem Unternehmen bin, das tarifvertraglich gebunden ist, dann ist die Verhandlungsthematik in der Regel ohnehin eine kollektive Angelegenheit, auf die ich weniger Einfluss nehmen kann. In so einem Unternehmen, in dem mitarbeiterseitig keine Verhandlung stattfindet, sondern das Ganze über die IG Metall etc. passiert, tue ich mir keinen Gefallen damit, wenn ich das Thema hineintrage – weil ich mich damit möglicherweise eher als unwissend bzw. uninformiert kenntlich mache. Anders sieht es aber auch hier zum Beispiel aus, wenn ich seit Längerem eine höherwertige Tätigkeit ausübe, da kann man dann gerade in der jetzigen Situation die Hand heben und das Thema offen ansprechen, dass man sich eine entsprechende Anpassung wünscht.
Welche Unterschiede beobachten Sie zwischen den Geschlechtern, wenn es um das Thema Gehaltsverhandlung geht?
Also der bereinigte Gender Pay Gap liegt nach wie vor bei 6 Prozent. Und das hat ja seine Gründe. Es geht beim Körpersprachlichen los, rhetorisch-kommunikativ. Während Männer an dieser Stelle wesentlich selbstbewusster auftreten, sind wir als Frauen nach wie vor deutlich zurückhaltender. Das heißt, diese ganzen geschlechtsspezifischen Unterschiede sind nach wie vor da. Es ist auch so, dass Frauen eher Angst davor haben, eine Beziehung zu riskieren. Das betrifft gerade auch den Einstieg in ein Beschäftigungsverhältnis. Oder auch, wenn sie bereits im Angestelltenverhältnis tätig sind, dann haben Frauen häufiger die Sorge, auf der Beziehungsebene etwas kaputt zu machen, wenn sie in die Verhandlung gehen. Im Kopf spielt sich da eine Menge ab und diese Angst hemmt und hält zurück. Das ist ein großes Problem – denn an sich ist es so, dass es durchaus eine Stärke ist, dass ich als Frau auf die Beziehungsebene schaue und auch etwas dafür tue, dass diese gepflegt wird. Denn das ist am Ende ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor in der Verhandlung. Wenn ich mit meinem Gegenüber gut auf der Beziehungsebene stehe und es ein stabiles Fundament ist, dann ist es wahrscheinlicher, dass ich mit einem guten Verhandlungsergebnis rausgehe. Aber das ist vielen Frauen gar nicht bewusst.
Wie kann ich mich, unabhängig von Geschlecht und beruflichem Status, über relevante Fakten informieren, wenn ich mich auf ein Gehaltsgespräch vorbereite?
Am besten sollte man sich Gehaltsdaten anschauen, die offen zur Verfügung stehen. Da gibt es beispielsweise vom Statistischen Bundesamt eine Seite, die Daten verarbeitet, die von Unternehmensseite weitergeleitet werden. Dementsprechend sind es durchaus aussagekräftige Daten. Und da kann ich mir einmal anschauen, wo ich stehe. Das bedeutet, da kann ich mir als Frau zum Beispiel auch anschauen, wo ich mit meinen Gehaltsdaten stehe, wenn ich mir ein Bild über den Gender Pay Gap machen will. Ich kann mir aber auch insgesamt einen Überblick verschaffen, wie sich je nach Region, beruflicher Erfahrung und nach Branche das Gehalt weiterentwickelt. Und wenn ich da einen Blick drauf habe, dann bekomme ich ein besseres Gespür dafür, wo ich stehe und wann es definitiv an der Zeit ist, das Thema Gehaltsverhandlung anzugehen.
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