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Yvonne Rainer, Bach from Terrain, Aufführung Judson Memorial Church, NYC, April 1963
Foto: Al Giese (Ausschnitt); The Getty Research Institute, Los Angeles (2006, M24)

Keine Handlung

29. Mai 2012

Das Museum Ludwig zeigt das Gesamtwerk von Yvonne Rainer - Kunst in Köln 06/12

Geht das überhaupt? Die Bedenken zur musealen Präsentierbarkeit von Tanz und Bewegung – die sowieso als Live-Aufführung gedacht sind – verfliegen sogleich in dieser Ausstellung im Museum Ludwig. Thema ist das Werk von Yvonne Rainer, die als Choreographin und Performance-Künstlerin seit den 1960er Jahren einen weltweiten Ruf genießt und auch als Filmemacherin etabliert ist. Das Museum Ludwig zeigt dazu nun Filmaufnahmen, Fotos, Plakate, Partituren und handschriftliche Notizen. Parallel dazu präsentiert das Filmforum ihre Spielfilme (die es aber auch in der Ausstellung zu sehen gibt), und einige ihrer Tanzstücke werden aufgeführt.

Die Arbeit von Yvonne Rainer ist nicht von der Bildenden Kunst zu trennen. Zu den Akteuren ihrer Stücke gehören Künstler wie Robert Morris und Robert Rauschenberg. Yvonne Rainer selbst ergänzte beim Pressegespräch, dass ihre Beiträge in den 1960er Jahren doch gerade in Museen aufgeführt wurden. Vor allem in diesen Jahren formuliert sie eine institutionelle Kritik, indem die Akteure das Publikum ignorieren und in den Entscheidungen über ihre Handlungen immer autonomer werden.

In Köln ist auch ein Film von Lutz Mommartz zu sehen, der den Auftritt von Yvonne Rainer und Robert Morris im Oktober 1964 in der Kunstakademie Düsseldorf dokumentiert und als gesellschaftliches Ereignis interpretiert: Die Aufführung ist atmosphärisch dicht, irgendwie merkwürdig in der Abfolge der Szenen (man weiß nicht, liegt's am Regisseur, liegt's an den beiden Tänzern), mit harten Brüchen Modernes mit Tradiertem verbindend, dann wieder fast banal, und am Schluss wirken die Besucher, die rauchend zusammenstehen, wichtiger als Morris und Rainer. – Aber erst außerhalb der Kunstszene sorgen die Stücke von Yvonne Rainer für Irritation, weil sie die Erwartungen an die Kunstform Tanz unterlaufen. Andererseits setzt die Kunst von Yvonne Rainer zur Zeit von Fluxus und Happening ein. Gänzlich die Grenze zur Performance überschreitet sie in ihren politisch motivierten Arbeiten, etwa im November 1970 in der Judson Memorial Church in New York, wo die Tänzer nackt, mit der Nationalflagge wie eine Schürze um den Hals das Stück „Trio A“ aufführen, welches aus einer Folge kleiner, aber sehr präziser Bewegungen am ganzen Körper besteht.

Vom Tanz zum Film zum Tanz
Yvonne Rainer wurde 1934 in San Francisco geboren, ab 1957 studiert sie in New York bei Martha Graham und Merce Cunningham, mit deren Konzeptionen sie sich jedoch nicht anfreundet. Unter anderem mit Simone Forti und Trisha Brown gründet sie das Judson Dance Theatre in New York als avantgardistisches Zentrum der verschiedenen Kunstgattungen. Zu den Künstlern, mit denen sie zusammenarbeitet, gehört Carl Andre, einer der Protagonisten der Minimal Art. Rainer selbst hat sich ausgiebig mit dem Verhältnis zur Minimal Art in ihrem Tanz beschäftigt. Da ist der menschliche Körper als Maßstab, da sind die eigentlich lapidaren Handlungen als „Material“, das in genauer Ausführung wiederholt wird. Und da ist das emotionslose Kontinuum der Handlung, ganz ohne Einleitung oder Höhepunkt und ohne jede Erzählstruktur, wie Yvonne Rainer selbst 1965 in ihrem „NO-Manifest“ gefordert hat: „NEIN zu spektakel nein zu virtuosität … nein zur verführung des zuschauers durch die tricks des performers nein zum exzentrikertum nein zur bewegung oder zum bewegt werden.“

Im Jahr darauf entsteht „Trio A“, ihr vielleicht bekanntestes Stück, als Teil des Tanzabends „The Mind Is a Muscle“, in welchem dann die Tänzer und die Requisiten gleichwertig begriffen sind. Aber gibt Rainer hier noch den Ablauf vor, so lässt sie etwa ab 1970 mit der Gründung der Tanzgruppe Grand Union den Tänzern Freiraum zur Improvisation und gelangt damit an ein (vorläufiges) Ende ihrer choreographischen Tätigkeit, die sie indirekt freilich mit der Hinwendung zum Film fortsetzt. Die Filme wechseln kaum die Einstellung (so ist der Blick aus einem fahrenden Zug zu sehen), aus dem Off ist Sprache zu hören, Schrift wird verwendet, wobei sich erst durch diese indirekten Maßnahmen die Erzählung konstituiert. Und fast immer geht es um zwischenmenschliche Spannungen, die subtil angesprochen sind. Die Filme, die unterschiedliche Ebenen von Erinnerung, soziologischer Theorie und Gegenwart ineinander blenden, teilen noch deutlicher mit, wie vielschichtig Rainers Kunst überhaupt ist, und dass sie selbst auch Theoretikerin, Aktivistin und Feministin ist. Und als sie 2000, auf Einladung von Michael Baryshnikov, in New York ihre choreographische Arbeit nach 25 Jahren wieder aufnimmt, greift sie die Themen und einzelne formale Elemente wieder auf, wobei sie nun die Bühne überwindet und das Publikum selbst zu Akteuren macht.

Freilich, schnell ist all das nicht zu begreifen, man muss sich Zeit für diese Ausstellung nehmen. Aber dann passiert noch etwas anderes. Wenn man den Parcours, die verschiedenen Kojen, Kinos und Räume, in denen die Filme der Tanzperformances mit und von Yvonne Rainer und ihre Spielfilme weitgehend im Dunkel vorgeführt werden, wieder verlässt und an der Treppe vorbei zur Amerikaner-Sammlung hin läuft, dann erhält man ein neues Gespür für Warhols „Brillo“-Kartons, John di Andreas „Studioscene“ und erst recht für Kienholtz' „Portable War Memorial“ von 1968. Und umgekehrt bestätigt diese Erfahrung: Die choreographische Kunst von Yvonne Rainer lotet nicht nur die Aktivität des Körpers aus, sondern sie wirft einen genauen Blick auf die Gesellschaft.

„Yvonne Rainer – Raum, Körper, Sprache“ I bis 29.Juli I Museum Ludwig I www.museum-ludwig.de

THOMAS HIRSCH

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