Dass der Kaiser nackt sei, gehört zu den bürgerlichen Wunschvorstellungen – Hans Christian Andersen hatte das in seinem Kunstmärchen „Des Kaisers neue Kleider“ beschrieben. Im Theater der Keller ist der Herrscher fast durchweg nackt; soll heißen, ein verletzlicher Mensch ohne Glanz und Gloria. In diesem Fall aber gilt auch: Er ist darüber hinaus exhibitionistisch, erotoman, narzisstisch – und infantil.
Charlotte Sprengers Inszenierung von „König Ubu. Oder wir sind am Arsch“ nach Alfred Jarry ist ein harter Brocken. Kein grotesk-absurdes Dramolett, in dem ein durchgeknallter Tyrann, angetrieben von seiner Frau, Kriege führt, Throne erobert und willkürlich Menschen abschlachten lässt. Jarrys Text ist in Köln komplett gestrichen, das „nach Jarry“ ist noch euphemistisch. Am Anfang sitzt der König (Daniel Breitfelder) mit blonder Langhaarperücke und Sonnenbrille murmelnd auf einem Stuhl, während zwei Faktoten (Brit Purwin, Frank Casali) eine Tasche und ein ausgestopftes Huhn hereintragen. Die absurde Komik des stummen Spiels wird schnell unterlaufen: Ubu streift sich die Kleider ab, kackt in einen Eimer, wälzt sich nackt auf dem Boden. Urwaldgeräusche sind hörbar. Video-Nachtsicht-Kriegsbilder flimmern vorbei. Als Projektionsfläche dient die Fassade eines mit Balken gestützten Torbaus, der an den Eingang des KZ Sachsenhausen erinnert (Ausstattung: Max Schwidlinski).
Absurdität, Komik, Terror und Infantilität mischen sich. Der König scheint auf simpelste Triebe wie Essen, Scheißen, Sex und Fummeln reduziert. Er kann kaum stehen, wird in einem grauen Bottich gewaschen, schreit „Ich habe Hunger“. Ein Faktotum zählt unendlich viele Wurstsorten auf und quält damit den Machthaber – Hitler war bekanntlich Vegetarier. Und dann ist es soweit: Der König gebiert die Macht aus sich selbst. Aus dem royalen Anus quellen historische Machtinsignien: Ritterhelme, Schwerter und eine Krone.
Charlotte Sprenger scheint auf dreierlei abzuzielen: Zum einen destilliert ihre herausfordernde Inszenierung ein Menschenbild heraus, das an Erbärmlichkeit, Dummheit und Infantilität kaum zu überbieten ist. Zum anderen geht es um unmittelbar ausgeübte Macht im Verhältnis König und Untergebene, das in seiner Ambivalenz die Balance häufig genug komplett umkehrt. Und es geht schließlich um menschliche (Zerstörungs-)Gewalt im Zivilisationsprozess angesichts der bisher extrem kurzen Existenzdauer des Menschen - darauf deuten Off-Texte von Wolfram Lotz zur Theodizee, Christian Lindners Ausfall gegen Klimaaktivisten und Wikipediamaterial zum Homo sapiens oder zum Anthropozän hin. Vieles an diesem Abend bleibt nur schwer aufzulösen und beschwört eher das düster Atmosphärische als Konkretes. Am Ende versammelt sich das Trio völlig nackt im Hintergrund und blickt rituell-beschwörend in einen Scheinwerfer. Die Sonne der Aufklärung mag wärmen. Dass „alles wieder gut wird“, wie es heißt, letztlich also die Unschuld wiederkehrt, gehört allerdings ins Reich der Illusion.
König Ubu. Oder Wir sind am Arsch | R: Charlotte Sprenger | weitere Termine in der neuen Spielzeit | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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