„…doch ich tat selten etwas, worauf ich keine Lust hatte, was vielleicht der größte Unterschied zwischen Weißen und Comanchen war. Weiße waren nämlich bereit, ihre ganze Freiheit dafür einzutauschen, länger zu leben und besser zu essen, während Comanchen nicht bereit waren, irgendetwas davon einzutauschen.“
Oh Mann, das Leben kann die Hölle sein. Hasso hat ein junges Häschen aber Potenzprobleme, wohnt wegen Míla in einem verhassten Luxusappartement und muss sich von ihr auch noch die Hörner aufsetzen lassen. Good-bye, my love! Daraufhin hat er nicht nur den heroisch sturen LKA-Ermittler Nettelbeck auf der Pelle, sondern auch das kleine Ganovenlicht Bilal, der nach der diamantenen Beerdigung seines heißgeliebten Freundes Licht am Ende des monetären Tunnels sucht. Dabei wäre der Deutsch-Libanese vermeintlich geeigneter, in die Fußstapfen des greisen Clanchefs Walid Sharif zu treten als dessen tumbe Söhne… Hombre, man kann sich das Leben auch zur Hölle machen! Soviel hausgemachte Probleme, dass Rainer Wittkamps Crimestory schlussendlich ein „Kalter Hund“ [grafit] bleibt.
Ein wenig Achtsamkeit würde da schon helfen, und sei es nur gegenüber sich selber. Aber die zählt nicht zu den menschlichen Stärken. Auch nicht bei Tim Wilkins. Erst als er nach seiner Frau noch seinen Job verloren hat, wird Franka Potentes Protagonisten bewusst, auf welch stumpfsinnigen Pfaden er gewandelt ist. Aber von wegen „Allmählich wird es Tag“ [Piper]. Trügerisch ist die Hoffnung, wenn sich im Kopf nichts tut. Auf und ab treibt man durch das elend leere Sein eines im Supermarktmüll aasenden Kondors. Nicht mal beim Sex kann er sich noch zu einem befriedigenden Höhepunkt aufschwingen. Immer tiefer wird der Leser in den bitteren Strudel gezogen – bis man keine Luft mehr kriegt: Raus hier! Ich muss raus hier!
Entfesselt stürze ich mich mit Andreas Brendt in die Brandung. Surfen, kreuz und quer über den Planeten. Selbst wenn man nicht vom Virus „Brett“ befallen ist, infizieren einen die im Selbstverlag veröffentlichten Wellenritte augenblicklich mit Abenteuerlust. „Boarderlines“ [www.boarderlines.info] ausloten, überschreiten, hinter sich lassen. Die Aussicht auf eine durch und durch ökonomisierte Existenz zerschellt an der Sehnsucht nach Leben. Ein schmaler Grat, auf dem es kein Zurück mehr gibt. Zumindest nicht für das Bewusstsein.
Wie mag sich da erst der alte Colonel fühlen, der – von den Comanchen entführt – unter ihnen zum Mann geworden ist, ehe es ihn zurückgeführt hat in die »weiße Gesellschaft«, die genauso brandschatzt wie die Indianer, aber jegliche Verantwortung dafür von sich weist? Wie sein sensibler Sohn Peter, der sich dem gewissenlosen Wild-West-Darwinismus mit humanistischen Wattebäuschen entgegenstellt? Und wie Großenkelin Jeannie, die in provokanter Dialektik des Colonels fundamental-aufrichtigen Kapitalismus und die weitsichtige Ethik ihres Opas emanzipatorisch auf sich vereint; auch wenn sie dafür den Preis der Einsamkeit zahlt. Mit so feurigem wie großmütigem Herzen machen die drei McCulloughs Philipp Meyers Familienroman „Der erste Sohn“ [Knaus] zu einem archaischen Gesellschaftsepos: Wider der unendlichen Predigt des Survival-of-the-Fittest. Für ein Leben oder zumindest ein Bewusstsein gegen den Strom.
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