Einerseits pocht das Theater auf die Aktualität der von ihm behandelten Stücke, andererseits kann man sich des Zwangs manches Bezugs kaum entziehen. Das Freie Werkstatt Theater bringt Lessings „Minna von Barnhelm“ auf die Bühne, und man fragt unwillkürlich nach dem Bezug zum Afghanistankrieg. Major von Tellheims Streit um Ehre, Entlassung, Resozialisierung, Geldnöte lässt sich als posttraumatische Belastungsstörung eines Soldaten lesen. Doch die Inszenierung von Kay Link interessiert sich kaum dafür. Zwar hat der Major (Tom Viehöfer) seine Aussetzer, ist von nervender Verstocktheit, doch bedrohlich wird das nie.
Die Beziehungskiste aller Beteiligten steht im Zentrum des Abends. In einer heruntergekommenen Kneipe mit Theke und Barhocker trifft man sich im Hier und Jetzt. Tellheim schlurft in Adiletten umher, Minna trägt Jeans und rotes Shirt, Werner im-merhin Cargohosen; Handys werden gezückt, Kaffeeautomaten malträtiert, doch all das ist aufgesetzte Modernität, weil es sich an den in den Dialogen behaupteten historischen Standesunterschieden und Geschlechtsdiskursen reibt. Nichtsdestotrotz wird daraus eine temporeiche Komödie; Sina-Maria Gerhardt als Franziska zieht zunächst alle Register. Sandra Pohl als Minna läuft erst allmählich zur Hochform auf; als sie dann die Intrige mit dem vertauschten Verlobungsring, der eigenen Enterbung, aufzieht, gewinnt die Figur Farbe. Am Ende driftet die Komödie dann ins Fahrwasser der Klamotte, und man fragt sich, was das mit der Kriegsrealität noch zu tun hat. Geduldig und ohne Hast umrundet Salome mit Hosen und Bolerojacke und Perücke die weit ins Publikum hineingezogene silbergraue Spielfläche. Immer wieder, bis König Herodes (Johann Krummenacher) seine blumigen Reden geschwungen hat. Bei aller Hellsicht des Mannes bezüglich Staatsmacht und Märtyrertum, für einen erotischen Tanz seiner Stieftochter will er alles geben. So kriecht Salome ihrem rotlippigen Ziehvater unter dem Reifrock durch und entblößt dabei ihren geschorenen Kahlkopf. Als Belohnung verlangt Kill Bill Salome den Kopf des eingekerkerten Jochanaan. Jörg Fürst inszeniert Oscar Wildes „Salome“ am Theater im Bauturm und platziert Jochanaan (Christof Hemming) als Mann im Mond hinter einem transparenten Halbrund, wo er seine Prophezeiungen in ein Mikro spricht. Ein Mann, der jede Sichtbarkeit (des Gottes wie der Weissagung) verweigert, während die Salome der Ela Görden ganz Blick ist. Ein Blick, an dem der Wärter Narraboth stirbt und den Jochanaan verweigert. Trotz Spritzpistole und Haarspange haftet der Titelfigur nichts Kindliches an, sie inszeniert das Begehren in Reinform: „Nur gucken, nicht anfassen“. Oder wie Salome das ausdrückt: „Hättest du mich angeschaut, du hättest mich geliebt“. Da ist es dann aber schon zu spät für den Seher. Salome hat als Belohnung für den Tanz den Kopf des Jochanaan verlangt und auch bekommen, weiß aber nichts mit dem Spielzeug anzufangen. Ein wenig trifft das auch auf die Inszenierung selbst zu, die sich die letzte Kompromisslosigkeit, die beispielsweise „Basquiat“ auszeichnete, versagt.
„Salome“ von Oscar Wilde
Theater im Bauturm I 6.-8./19.-22.5., 20 Uhr
„Minna von Barnhelm“ von Gotthold Ephraim Lessing
Freies Werkstatt Theater I 6.-9.5., 20 Uhr
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