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„Fräulein Julie“
Foto: Thilo Beu

Liebesdrama ohne Rasiermesser

31. Oktober 2013

Dominik Locher überstülpt in Bonner Werkstatt August Stindbergs „Fräulein Julie“ – Theater am Rhein 11/13

Das Leben an der Spitze der Nahrungskette ist hart und mühsam. Denn die Welt ist ein „Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehen, dass eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist“ (Arthur Schopenhauer). Kein Wunder also, dass das adlige Fräulein Julie noch schläft, während die Zuschauer in der Bonner Werkstatt ihre Plätze einnehmen, während ihr Diener Jean (Domi) schon Frühstück macht, oder Abendbrot, so leicht kann man das nicht unterscheiden angesichts der einfachen Küchenzeile mit Abwasch im Becken, Flaschen und Zeugs auf der Arbeitsplatte.

Die Küchenzeile bleibt das einzige Mobiliar auf der kargen Bühne, kein Ort, den Julies Vater, der Graf, je betreten würde, tut er auch nicht. Der Rest in der kleinen Bühne ist Tanz und Balgeraum für ein August Stindberg-Liebesdrama, das der junge Schweizer Regisseur Dominik Locher als eine eigene Variante und mit dem deutlichen Hinweis als Projekt erarbeitet hat. Die klassische Geschlechterschlacht, eines der am meisten gespielten Stücke Strindbergs, hat er dafür in die Jetztzeit versetzt, seine eigene Biografie als Plastiktüte übergestülpt. Und die scheint um einiges spannender zu sein als die olle Kette von Schopenhauers Martertoden. Vor seinem Regiestudium arbeitete Dominik Locher (Domi) auch schon mal als Kioskverkäufer, Altersheim- und Zirkusanimator, Pornokinokassierer und Groschenromanautor. Davon erfahren die Zuschauer natürlich nichts.

Das Fräulein Julie erwacht unter ihrem riesigen Portrait, wo sie lecker gemalt, als sittsame Comtesse posiert, nur die Bierdose stört etwas, doch nach wenigen Minuten wissen die Zuschauer, warum sie da ist. Fräulein Julie ist eine Lebens-Furie, eine Mischung aus Lady Gaga und der Replikantin Pris aus Ridley Scotts „Bladerunner“ (Laura Sundermann kann das). Wie die scheint sie „Cityspeak“ zu reden und über zu viel Adrenalin in den Adern zu verfügen. Die Restzeit ihres Lebens dürfte, wenn es nach August Strindberg gehen sollte, ähnlich sein, doch der dänische Dramatiker hat die Hoheit über sein Werk längst verloren, genau wie der Adel seine Alleinstellungsmerkmale. Die Billboards der Welt und diverse TV-Musikkanäle entscheiden heute mehr über die trügerische Prominenz an der Spitze der Nahrungskette. Und so heißt die junge und von „Domi“ schwangere Köchin nicht Kristin, sondern Lila nach Lochers Lebensgefährtin, die diese freudige Erwartung teilt. Der Regisseur erklärt das extra auf zwei Monitoren im Stück (warum nur?).

Die gute Projekt-Stunde verfliegt schnell, Fräulein Julie ist doch mehr Lady Gaga, als Comtesse oder Replikant. Diener Domi wird sie verführen, die Mutter seiner Tochter verlässt ihn, nachdem sie schmerzverzerrt das Kind im vollen Spülbecken entbunden hat. Dann dreht sich alles um die Frage, ob man für Liebe sterben muss. Lochers Antwort lautet nein, die einfältige Lady Gaga grölt um „Applause“, Lila kehrt zurück und übernimmt die Geschäfte des jungen Aufsteigers, der aus dem Diener wegen der medienträchtigen Kurzliaison geworden ist. Klassenkampf sieht anders aus, auch wenn hier Andy Warhols Liebesligen Pate stehen sollen. Inszeniert ist das alles ziemlich off-oldschool, die Figuren Domi und Lila überzeugen nicht. Aber es war ja auch nur ein Projekt.

„Fräulein Julie“ I Sa 9.11. 20 Uhr I Werkstatt Bonn I 0228 77 80 22

PETER ORTMANN

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