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Susanne Bredehöft als Daja mit Marge Simpson-Turmfrisur
Foto: Thilo Beu

Mechanische Religionsfreiheit

27. Oktober 2010

F. M. Gramss „Nathan der Weise“ am Bonner Theater - Theater am Rhein 11/10

In einem cremefarbenen Traumland am Ende der Welt sitzen sieben mechanische Puppen im Kreis. In der Werkstatt des Bonner Theaters seziert grelles Licht wie in einem Laboratorium jeden kleinsten Schatten, den sie werfen, jede Mimik, jede Regung bleibt zwanghaft unverborgen. Nur aufs Stichwort setzen sie sich in Bewegung in Franziska Marie Gramss Inszenierung, denn sie sind die Protagonisten in ihrer Version von Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“. Aber noch sind sie regungslos, könnten eigentlich auch auf jeden anderen Text programmiert werden. Zumindest solange, bis sich eine der Mechanischen ungelenk in Bewegung setzt und endlich den ersten Satz sagt: „Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank“. Susanne Bredehöft hat so gar nichts von der üblichen christlichen Daja. Zu satt geschminkt, zu dick der Lippenstift, im pastellenen Kostümchen steht sie da wie ein defekter Roboter aus einem Zukunftsfilm, der die Balance nicht mehr halten kann, fast quält sie jede ungeölte Bewegung. Monoton kommt das Intro vom abgebrannten Haus und der wundersamen Rettung der Recha. Nathans Tochter, eine mit Tutu bewaffnete Zwangsballettöse, wurde vom Tempelherrn aus den Flammen befreit, er selbst (Konstantin Lindhorst) ein absolut großartiger Roboter mit Fallsucht und fast dauerdemütiger Heilsbringermimik. Der Knaller des Abends ist aber Sultan Saladin, Wolfgang Rüter in Schlabberhose und Badeschlappen, unrasiert und mit Tanzneurose. Gramss hat den stolzen Moslem in Geldnöten in eine böse Karikatur verwandelt. Nicht ist mehr übrig vom mächtigen Menschenführer, der eine ganze Templerschar in Jerusalem hinrichtete, weil sie die falsche Religion hatte, und nur den einen am Leben ließ, weil er seinem verschollenen Bruder ähnlich sah. Und dieser Penner muss nun beim schnieken Juden Nathan um Geld buhlen, nachdem er seine ihn offensichtlich selbst quälende Rhythmusgymnastik vollführt hat. Da prallen keine Weltreligionen aufeinander, da werden keine Machtspielchen zelebriert, da reduziert sich im Traumland jeder auf sein eigentliches Wesen. Was sonst nur psychoanalysiert werden kann, hier ist es eine mögliche Realität.
Auch vom großen humanistischen Ansatz ist nichts mehr zu sehen, die Roboter spielen ihre Rolle, der Text wird wie in einem Tomograph scheibchenweise untersucht und fast wertfrei hinterfragt. Was aussieht wie eine choreografierte szenische Lesung, ist in Wirklichkeit die Zertrümmerung eines Pathos, der das Stück auf den Bühnen immer weiter zerfressen hat. Nathan, den Günter Alt als dicklichen Gnom bewältigen muss, darf nur bei Ringparabel an der bodenerdigen Rampe rezitieren. Er bleibt die ganze Zeit der Fixpunkt, zu dem sich alle Beteiligten hinbewegen, und der die Auflösung der recht verworrenen Familienangelegenheiten am Schluss wie beiläufig herunterrasselt. Wen interessiert es schon, ob die Liebenden Geschwister sind, ob der Macht-Status Quo in der heiligen Stadt gewahrt bleibt, oder welche Religion die beste ist. Die mechanischen Aufziehpuppen brauchen sicher Öl, Daja wieder frischen Lippenstift. Ein gelungener Director‘s Cut eines Klassikers.


Nathan der Weise: Di 9.11., 20 Uhr I Theater Bonn (Werkstatt)
0228 77 80 08

PETER ORTMANN

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