Gewalt ist auch eine Frage des Stylings. Alex und seine Droogs wissen, was man zum Baseballschläger trägt. Pelz zur Glatze, eine Latex-Leggings, auf dem Pullover aufgesetzte Epauletten oder ein knapp sitzendes Jeans-Bolero-Jäckchen – alles sehr stylish uniformierend in Blau und Magenta (Kostüme: Janina Warnk). Die Droogs sind eine hübsche kitschy Boygroup, die elegant eine kleine Choreografie hinlegt. Kein Gedanke an White-Trash-Bodensatz aus der Sozialstudie oder aufgeputschen Mob mit Springerstiefeln. Eher SF-Tanzmariechen mit Schlagstock, die mit ihrer verniedlichenden Kunstsprache noch jeder Realität einen knallbunten Schleier überwerfen können.
Im Zentrum von Anthony Burgess dystopischem Roman „A Clockwork Orange“ steht der narzisstische halbwüchsige Alex und seine Gang. Mit ihren drogeninduzierten brachialen Gewaltorgien rebellieren sie gegen eine verkommene Gesellschaft, die später den Anführer mit brutalen medizinischen Experimenten zum guten Bürger konditionieren wird. Regisseurin Charlotte Sprenger verweigert allerdings das Verelendungsbulletin einer fauligen Gesellschaft und stellt stattdessen eine verblüffende Koinzidenz her. Nur zwei Jahre nach „Clockwork Orange“ erscheint 1964 Susan Sontags berühmter Aufsatz „Notes on Camp“ über einen affektierten ironischen Ästhetizismus, der enge Verbindungen zur Popkultur aufweist. In dieser Tradition scheinen die fünf Droogs im Theater der Keller zu stehen. Markus J. Bachmann, Frank Casali, Liliom Lewald, Denis Merzbach, Madieu Nguyen werfen sich gern fürs Publikum in Pose, singen a capella, sprechen als Chor und schlüpfen in zahlreiche Rollen. Sie sind immer Opfer und Täter zugleich. Alles ein großes Spiel. Wenn die Droogs ein Paar überfallen, wirft einer sofort ein Samtabendkleid über, als ob man auch Fassbinders „Petra von Kant“ im Repertoire hätte. Es wird ein bisschen rumgetuckt, später streifen die fünf Jungs die Klamotten mal komplett ab und knutschen, was das schummrige Licht zulässt. Sprengers Ästhetisierung der Gewalt überzeugt, ist allerdings nicht ohne Wagnis, weil sie Homoerotik, Narzissmus und Brutalität verbindet und es in der deutschen Geschichte einige einschlägige, nicht ganz so ästhetische Vorläufer gibt.
Doch das Bühnenbild von Thomas Garvie macht von Beginn an klar, dass der gesellschaftliche Raum, in dem der Abend verortet wird, kein öffentlicher sein muss. Knatschgelbe noppenbewehrte Schaumstoffmatten auf dem Boden und an den schwarzen Wänden weisen auf eine Zelle hin, in die Alex nach dem Mord dann auch gebracht wird. Ohne ihren Camp-Ansatz zu verlassen, aktiviert die Inszenierung nun einen anderen Inspirationsstrom: Georg Büchners „Woyzeck“ als Inbegriff einer theatralen Studie, bei der ein Mensch zum Versuchstier auf Wissenschaft und Macht gestützter Institutionen wird. Ein Tambourmajor mit Trumm gibt den Aufpasser, zwei aasige Ärzte mit Gummihandschuhen, ein schwuler Pastor und ein Minister verführen Alex, an dem Konditionierungsexperiment „Ludovico“ teilzunehmen, das Gewalt mit Erbrechen synchronisiert. Die Regie hält sich nicht lange mit den Versuchen auf, sondern zeigt das Ergebnis: Alex wird zur Marionette, deren Strippen von den vier „Koryphäen“ der Macht gezogen werden. Dazu erklingt wie zum Hohn Beethovens 9. Symphonie, diese emphatische Apotheose der Humanität. Verhaltenskonditionierung ist angesichts von Kontroll-Apps, die staatlich verordnet (wie in China) oder freiwillig zur Selbstoptimierung (wie im Westen) einsetzt werden, längst keine dystopische Zukunftsmusik mehr. „Der Mensch ist frei“, hatte schön Büchners Doktor schwadroniert. Auch die Ärzte in „Clockwork Orange“ attestieren Alex schließlich seine Freiheit, doch Charlotte Sprenger münzt das in eine böse Volte um. Sie lässt Denis Merzbach minutenlang unbeweglich ins Publikum starren: Ecce Homo. Der vermeintlich freie Mensch, der aus eigenem Antrieb handelt, aber nicht einmal mehr zum Selbstmord in der Lage ist, wird zum Spiegel, in den der Zuschauer verunsichert glotzt. Das Theater kommt zum Erliegen – bevor sich der Abend dann im Spiel auflöst. Sehenswert!
„Clockwork Orange“ | R: Charlotte Sprenger | 3., 17., 28.2. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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