„Die Kunstwelt weiß nicht, wohin sie mich stecken kann“, meinte Saul Steinberg und skizzierte damit genau das Problem, mit dem die Kritik bis heute zu kämpfen hat, wenn sein Name fällt. Im Grunde muss man aber nur hinschauen, um zu erkennen, welch anregender, intelligenter Künstler der 1914 in Rumänien geborene Steinberg war, der 1942 nach seinem Architekturstudium in Mailand nach New York emigrierte, wo er 1999 starb. Steinberg wird von den Illustratoren als eine Art „Godfather“ verehrt. Tatsächlich kann seine Bedeutung für die bildende Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Eine Tatsache, von der man sich jetzt in der Ausstellung „Saul Steinberg: The Americans“ im Museum Ludwig in Köln überzeugen kann. Ein wunderbares Geschenk, das der aus dem Amt geschiedene Kaspar König dem Museum hinterlassen hat. Und eine Ausstellung, die perfekt in dieses Haus passt, das wie kein zweites die Entwicklung der Pop-Art dokumentiert. „The Americans“ ist eine 74 Meter lange Wandarbeit, die erstmals seit ihrer Entstehung zur Weltausstellung in Brüssel 1958 vollständig zu sehen war. Leider wurden die großen Tafeln nicht komplett aneinandermontiert, so dass man ihren Verlauf nicht ungebrochen abschreiten kann. Dennoch ist es ein Abenteuer, Zeichen und Gestalten zu entdecken, mit denen Steinberg seine Zeit ins Bild setzt. Neben diesem herrlichen Ungetüm, das vor einem ironisch skizzierten Landschaftspanorama der USA die abstrakt aufgebrezelten Zeitgenossen Steinbergs im Vordergrund paradieren lässt, gibt es in den Kabinetten Collagen, Zeichnungen und Tütenmasken zu sehen.
Witz und visueller Einfallsreichtum von Steinberg scheinen unerschöpflich gewesen zu sein. Frech verbindet er Medien wie die Fotografie und die Zeichnung miteinander. Sein Spiel mit den Tütenmasken, die eine Person schockierend verändern, findet sich später auf den Fotografien von Diane Arbus wieder. Eine frappierende Erkenntnis geht mit dieser Ausstellung einher: Ein Illustrator, der mit allen Sinnen die politische, gesellschaftliche und soziale Atmosphäre seiner Zeit aufgenommen hat, war den Entwicklungen der Malerei und vor allem der Pop-Art weit voraus. Steinbergs Collagen nehmen Techniken und Ausdrucksweisen von James Rosenquist, Claes Oldenburg oder Andy Warhol in den 50er Jahren schon vorweg. Dass Pop-Art auch intellektuelle Spitzen enthalten kann, dass sie geistreich und durchaus gutwillig die grelle Seite der allgegenwärtigen Vermarktungsmechanismen zu analysieren vermag, zeigen diese Werke eines Großmeisters der Zeichenkunst mit einem genüsslichen Augenzwinkern.
Saul Steinberg: The Americans | bis 23.6. | Museum Ludwig, Köln | Katalog erscheint im Snoek Verlag zum Preis von 36 Euro
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