Um es mit Rilke zu sagen: Der Sommer war sehr groß. Und am Ende ist Erntezeit. Bei allen, die im Frühjahr Saaten in die Erde drückten, Unkraut zupften, Triebe hochbanden, Gießkannen schleppten, füllen sich die Körbe mit Selbstgezogenem. „Bei allen“ heißt inzwischen wirklich fast: bei allen. Oder kennt jemand eine/n, der/die nicht mal Basilikum auf dem Balkon oder Beeren in Beeten, Radieschen neben dem Rasen oder Tomaten im kleinen Treibhaus ansetzte? Ganz zu schweigen von Buddlern auf Grabeland und – jüngster Trend – den Wiederentdeckern der Schrebergarten-Scholle. Es scheint trotzdem noch nicht für alle zu reichen, denn auch Stadtquartier-nahe Bürgergärten erleben auf sehr unterschiedliche Weise einen kleinen Boom.
Schauplatz Dortmund, das Brunnenstraßenviertel in der Nordstadt. „Hier leben 35 Nationen“, sagt Ingolf Sinn illusionslos. Wenig Geld vorhanden, sozial eher schwierig, nach Osten ist der Weg durch einen Bahndamm versperrt. Das Eckgrundstück an der Heroldstraße: ein Hundekackplatz. Zumindest noch im vergangenen Jahr. Jetzt wurde daraus ein interkultureller Garten.
Drei Akteure brauchte es, um das Projekt anzuschieben: Das Netzwerk INFamilie kümmert sich um Frühförderung, praktische Familienhilfen – und fragte sich: „Wie kriegt man die Bürger in Kontakt?“ Eine Quartiers-Bürgerinitiative hatte Baumscheiben bepflanzt, dann aber die Stadt gefragt: „Können wir nicht aus der Brache ’was machen?“ Und schließlich die „Urbanisten“ – ein Netzwerk für die Mitgestaltung der eigenen Stadt. Die fragte man: „Könnt ihr nicht als Verein den institutionellen Rahmen übernehmen?“ Im Frühjahr nahm das Projekt Gestalt(ung) an. Nicht immer mit Erfolg, wie Ingolf Sinn als Koordinator für INFamilie einräumt. Denn der Weidenzaun, der das Grundstück eingrenzen, begrünen und Hunde abhalten sollte, ging nicht an. Der belastete Boden taugt nicht als Pflanzgrund – also mussten Pflanzkästen gebaut werden. Darin wachsen auch erst einmal Blühblumen und nicht Gemüse. Aber der Platz ist tagsüber immer belebt und wird beobachtet: Unterschiedliche Migranten-Nachbarn schauen neugierig auf das Treiben. Und die Politik auf das Experiment. Es gibt nämlich noch mehr Anträge, solche Bürgergärten zu errichten.
Schauplatz Gelsenkirchen. Wieder an Bahngleisen, auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs Schalke, muss man ein bisschen suchen, um den „Mädchengarten“ zu finden. Jungs haben keinen Zutritt. „Es ist ein geschützter Raum“, sagt Anna Conrad vom Trägerverein. Nicht nur das: Es ist auch eine Kreativwerkstatt, eine Art VHS für Kinder und Jugendliche. Bei denen mit Pflanzen experimentiert wird – nicht primär zum Essen, sondern zum Färben von Holz und Textilien. Aus Versehen lernt man dabei auch Gemüse kennen. Rotkohl war den meisten völlig unbekannt. Sein Saft färbt lila, wenn man ihn unverändert lässt. „Wenn man ihn aber mit Backpulver kombiniert“, weiß Vorstandsfrau Renate Janßen, „dann wird’s grün-blau, weil sich der pH-Wert verändert.“ Viermal pro Woche ist der Mädchengarten geöffnet, werden Stockrosen und Beeren, Johanniskraut und Frauenmantel verarbeitet, um T-Shirts einzufärben oder in Kosmetika Verwendung zu finden. Die Schalker Mädchen-Enklave ist übrigens schon 2007 entstanden, zwei Jahre früher als die Berliner Prinzessinnengärten, denen viele den Anstoß für die Urban-Gardening-Welle zuschreiben.
Während man an dem einen Platz das Wasser in Gießkannen anschleppen muss, leistet man sich anderswo 600-Liter-Tanks mit einem Schlauch-Bewässerungssystem. Und wo die einen alte Badewannen recyclen, lassen sich die anderen mit Projektmitteln ideenreiche Hochbeetlandschaften konstruieren. So zu sehen in „Elisabeths Garten“, angeflanscht an das Naturkundemuseum in Düsseldorfs Schloss Benrath. Hier werden unter Anleitung der Biologin Sabine Klaucke vor allem alte Gemüsesorten in die öffentliche Wahrnehmung zurückgeholt: „Karmesin“-Puffbohnen etwa oder blauer Kohlrabi. Auch gelbe oder weiße Möhren sehen junge und ältere Besucher oft zum ersten Mal. „Orangefarbene Supermarkt-Möhren sind nicht das Original, sondern lediglich eine Züchtung, die sich in der Breite durchgesetzt hat“, sagt Klaucke. Was die Bio-Rüben übrigens noch leisten, ist die vollständige Verwertbarkeit. Das Möhrenkraut schnibbelte die Biologin mit Schulkindern in den Kräuterquark – „man kann sogar Pesto daraus machen“. Dank Düsseldorfs internationaler Anbindung verirren sich selbst Besucher aus Kuwait in den Garten-Innenhof, der – als Manko – nur dreimal pro Woche stundenweise geöffnet ist. Dafür hat „Elisabeths Garten“ drei Satelliten an der Rheinpromenade, in Bilk und im Zentralschulgarten am Räuscherweg. Selbstverständlich sollen noch mehr solcher Abkömmlinge nachwachsen.
So wünscht man es sich auch in Mülheim. Ein erster Bürgergarten in Eppinghofen musste zuletzt einem Regenrückhaltebecken weichen, jetzt aber will die Stadt Plätze für neun neue Gemeinschaftsgärten vergeben. „Wir stehen noch ziemlich am Anfang“, resümiert Jochen Schwatlo im Grünflächenamt. „Aber es gibt konkrete Anfragen von Bürgern, die so ihr Wohnquartier mitgestalten möchten.“ Freilich nur gegen Pachtzahlung – und die Bezirksvertretung möchte auch gern mitreden. Bürgerkreativität soll zwar ins Kraut schießen, aber …
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