Dienstag, 9. Juni. Immer weiter wachsende Metropolen sehen sich in der Gegenwart bereits verschiedensten Problemsituationen gegenübergestellt. Eine drängende Frage ist die nach den Wohn(raum)möglichkeiten, welche eng verbunden ist mit der Frage der Mobilität. Da nimmt es nicht Wunder, dass sich die Veranstaltungsreihe „Köln nachhaltig gestalten“ nach dem Thema Stadtentwicklung („Orte des guten Lebens“) nun dem Thema Mobilität widmet.
Im VHS-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum fanden hierzu eine Informationsveranstaltung und später ein Vortrag mit anschließender Diskussionsreihe statt. Leicht versteckt hinter dem Museumsgebäude präsentierten derweil verschiedene Gruppen Ideen, wie man im urbanen Raum mobil sein kann – vor allem ohne Auto. Natürlich spielte dabei das Thema Zweirad eine Rolle – aber nicht nur. Michael Liebe präsentierte unter anderem das „Trimobil“ auf seinem Stand. „Heute geht es ja um alternative Mobilität zum Auto. Da gibt es zum Beispiel das Lastenrad, das Elektromobil und das Dreirad. Es gibt im Prinzip also die verschiedensten Möglichkeiten das Autoaufkommen innerorts in Zukunft zu minimieren“, ist sich Liebe sicher.
In der Stadt der Zukunft mobil? Natürlich mit dem Rad
Michael Liebe ist vom Mitveranstalter Ralph Herbertz eingeladen worden, er betreibt ein Fachgeschäft, unter anderem für diverse Elektro-Bikes in Porz-Ensen. Für ihn liegt unter anderem die Zukunft im Dreirad. Mit einem solchen Modell plant er für das nächste Jahr einen „Veedelskurierdienst“. „Wir wollen nicht mit normalen Kurierdiensten in Konkurrenz treten. Bei der Idee geht es vor allem darum, dass sich die Bewohner der Veedel gegenseitig Kurierdienste anbieten können“, erklärt Liebe seine Idee für eine autofreie Zukunft. „Hierbei geht es vor allem um Einkaufsfahrten, die man mit einem lasttragenden Dreirad leicht bewältigen könnte – ohne die Straßen zu verstopfen“, meinte Liebe – mit der Stadt Köln ist er in Gesprächen über eine mögliche wie baldige Realisierung der Idee.
Die Besucher konnten die ausgestellten Räder testfahren – ein Angebot, das auch die KVB den Interessenten an dem neuen „KVB-Bike“ nicht vorenthalten wollte. Frank Gassen-Wendler vom Mobilitätsmanagement der KVB erzählte nicht ohne Stolz vom neuen Projekt in Köln. „Am 8. Mai war der Startschuss für das Fahrradprojekt – bis jetzt konnten wir in einem Monat zwanzigtausend Fahrten verbuchen“, so Gassen-Wendler. Die Idee ist es, grade Menschen mit dem JobTicket eine einfache An- oder Weiterfahrt zur Halte- oder Arbeitsstelle zu ermöglichen. „Aus diesem Grund ist die Fahrt auch kostenlos – allerdings nur für 30 Minuten“, erläuterte Gassen-Wendler das Prinzip.
„Derzeit sind etwa 600 Fahrräder im Umlauf – wir wollen die Zahl auf 950 erhöhen“ – für Gassen-Wendler sind diese Zahlen ein Beweis, dass der Bedarf an solchen Ideen und Projekten groß ist. Das Rad in Ergänzung zu Bus und Bahn – das soll in Zukunft die Innenstädte und nahen Bezirke in puncto Autoverkehrsaufkommen entlasten. „Es geht ja dabei darum, Mobilität der Zukunft zu gestalten, auch E-Bikes werden hierfür sicherlich noch ein Thema werden“, so Gassen-Wendler. Das Angebot der KVB nutzen dabei vor allem JobTicket-Nutzer, mit großem Abstand danach auf Platz zwei rangieren die Studenten.
„Der beste Verkehr ist derjenige, der erst gar nicht entsteht“
Die Zukunft der Mobilität mitzugestalten war auch Thema der zahlreichen Stände im Innenraum, hier mischten sich verschiedene Initiativen mit Offiziellen. Unter anderem präsentierten sich die Köpfe hinter der Initiative REWK (Radexpressweg Köln) und der Radkomm, ebenso wie Vertreter der Stadt Köln vom Amt für Straßenverkehrstechnik, die über die kommenden Pläne der Verwaltung Auskunft hinsichtlich neuer Maßnahmen für den Radverkehr in Köln erteilten. Ein Vertreter der Stadt Köln war auch zum anschließenden Diskussionsabend eingeladen. In den beiden Vorträgen der Redner, Thilo Bosse, Stadt Köln, und Jörg Thiemann-Linden, Stadt- und Verkehrsplaner, ging es vor allem um eine Beschreibung von Zuständen und Möglichkeiten.
Bosse, Projektleiter für das Stadtentwicklungskonzept Mobilität und Verkehr, präsentiert Zahlen und Fakten. Eine Statistik aus dem Jahr 2008 sagt zum Beispiel aus, dass zu dieser Zeit 21 Prozent der Kölner die öffentlichen Verkehrsmittel vorwiegend nutzten, zu Fuß waren 24 Prozent unterwegs, mit dem Pkw 43 und dem Rad/Krad 12 Prozent. „Mittlerweile steht die Zahl der Radfahrer bei etwa 15 Prozent“, schätzte Bosse die aktuelle Zahl ein – doch warum ist der Anteil so verhältnismäßig niedrig? „Die Radverkehrsinfrastruktur ist in Köln über Jahre vernachlässigt worden“, äußerte sich Bosse während seines Vortrages. Um dies zu verbessern, sei vor allem mehr Geld nötig.
Bosse ist sich aber auch sicher, dass man in Zukunft auf das Rad umsteigen müsse, um den Verkehr in der Innenstadt zu entlasten. Dies gelte auch für die Pendler. „Eine Metropole wie Köln wird auch stark beeinflusst durch den überörtlichen Verkehr“, so Bosse weiter. Wichtig sei in diesem Zusammenhang natürlich auch der Ausbau des Bahnnetzes, was aber nur schwer möglich sei, da man hier schon überlastet sei. „Deswegen werden Radschnellwege in Zukunft ein weiteres wichtiges Thema“, erläuterte Bosse seine Sichtweise. Aber auch der Ausbau von Nahbereichszentren sei enorm wichtig, denn „der beste Verkehr ist derjenige, der erst gar nicht entsteht“, so Bosse weiter.
Derzeit ringen die Verkehrsausschüsse laut Bosse „um jeden Zentimeter, den man den einzelnen Verkehrsträgern zuordnen kann“ – doch wie kann man angesichts steigender Bevölkerungszahlen in den Städten Maßnahmen für mehr Verkehrsraum schaffen? „Zum einen muss sich tatsächlich das Verkehrsverhalten ändern, hierfür aber müssen vor allem auch die Angebote geschaffen werden.“ Weitere Möglichkeiten für Maßnahmen präsentierte Bosse auch unter dem Thema „Lernen von anderen Metropolen“ – und im Papier Köln mobil 2025 sowie im geplanten Stadtentwicklungskonzept.
Was tun für die Mobilitätswende?
Was man von „den Anderen“ lernen kann, damit beschäftigte sich schließlich auch der zweite Redner des Abends. Jörg Thiemann-Linden präsentierte Bilder und Visionen zu den Stichworten „Mobilitätswende und öffentlicher Lebensraum“. Zum Thema „Sharing“ warf er gleich neben dem bekannten Car-Sharing Begriffe wie Parkplatz-Sharing und Bike-Sharing in den Raum. Zudem ging es um Städte und Autos der Zukunft – Ideen wie selbstfahrende Autos könnten laut Thiemann-Linden schneller zur alltäglichen Realität werden, als mancher heute vielleicht zu denken bereit ist.
Doch auch Thiemann-Linden konzentrierte sich im Verlaufe seines Vortrages auf das Rad – und welche Möglichkeiten hier schon in Sachen „Raumgewinnung“ in anderen Städten realisiert wurden. Utrecht und Breda wurden als Beispiele für eine gute Art der Raumgewinnung hervorgehoben. Fahrradquartiersgaragen und richtige Fahrradparkhäuser, die auch aus ästhetisch-architektonischer Sicht ansprechende Lösungen darstellten, wurden als zukunftsfähige Beispiele herangezogen, um Raum zu gewinnen. Zeitgleich kann man so Radfahrern bessere Möglichkeiten zum Abstellen ihres geliebten „Drahtesels“ anbieten. Woraus man sich natürlich zeitgleich eine größere Nutzung des Fahrrads an sich verspricht.
Fahrradparkhäuser und Bürgerbeteiligungen als Gestaltungsmöglichkeiten
„In Zukunft wird es sicherlich auch mehr Dreiräder geben – grade wegen der vielen Internetkurierdienste. Auch hier wird sich die Frage stellen: Wo abstellen?“, blickte Thiemann-Linden weiter voraus. Nicht ohne dabei neue Fragen aufzuwerfen. In den Niederlanden sind große Radstationen und Fahrradparkhäuser bereits Erfolgsmodelle – auch in ökonomischer Hinsicht. Hierfür müssten Städte und Parkhausbetreiber Kooperationen eingehen, wie in den Niederlanden oder Dänemark bereits erfolgreich für beide Seiten geschehen. Auch über Themen wie „E-Bike-Sharing“ und sichereres Fahrradabstellen durch W-Lan und USB-Anschlüsse machte sich Thiemann-Linden Gedanken.
„Man muss den öffentlichen Raum vom Menschen aus planen, Mensch und Mobilität müssen zusammengedacht werden“, so Thiemann-Linden weiter. Wichtig hierfür seien vor allem Bürgerbeteiligungen. Auch hier zog Thiemann-Linden Beispiele aus anderen Ländern wie der Schweiz oder Dänemark heran. „Eine Beteiligungskultur wird sehr wichtig sein, Stichworte wie Co-Creation oder Co-Production werden bei den Städtemobilitätsplänen eine große Rolle spielen – die Verwaltung ist hierbei schlichtweg auch manchmal einfach überfordert.“ Die Stadt der
Zukunft braucht also den Bürger und seine Ideen – damit man sich gemeinsam einen verträglicheren Sozialraum schaffen kann, denn hierfür braucht man schließlich Bewegungsfreiheit. Auf allen Ebenen.
Mit der Mobilitäts-Veranstaltung endet die Reihe „Köln nachhaltig gestalten“ – allerdings nur fürs erste Halbjahr. „Im September soll es weitergehen – jedoch werden wir per Halbjahr nicht mehr vier, sondern wohl eher zwei Veranstaltungen machen“, so Mit-Organisator Ralph Herbertz.
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