Die riesigen Holzschnitte, mit denen Gert & Uwe Tobias im Kunstgeschehen für Aufsehen sorgen, sieht man im Museum Morsbroich zunächst nicht. Dafür die Keramiken, die neueren Mischtechniken auf Leinwand und Papier, die Zeichnungen und die Collagen. Die Wandsegmente der Ausstellungssäle selbst sind dunkel gestrichen, als diskrete Inszenierung, alles wirkt gediegen, und doch stellt sich unterschwellig ein verstörender Ton ein. Schon die weißlichen Keramiken lassen an Körperfragmente und seltsame Geschöpfe denken, und auf den Bildern tauchen Tierwesen wie aus dunkler Vorzeit auf. Geschwungene Konturen umschreiben helle transparente Körper, teils Vögel, vor kantigen Linienkonstruktionen, die als schwarze Wände die Raumtiefe definieren. Die organisch figürlichen und konstruktiv abstrakten Ebenen durchdringen sich voller Anspielungen und Assoziationen.
Diese jüngsten Bilder, die mit Pastellkreide und Buntstift auf Papier realisiert sind, wirken leichthin, wie aus der Erinnerung und nicht recht zu fassen. Hingegen kennzeichnet die Holzschnitte, von denen etliche aus der letzten Zeit ausgestellt sind, eine monumentale Präsenz, die aber nie ohne Witz ist. Dafür sorgt schon die schablonenhafte Stilisierung der Figuren, die verschiedene Posen, auch Gesten auf dem Bildfeld einnehmen. Die neueren Holzschnitte umfassen primär Stillleben, Interieurs und Figurengruppen sowie Porträts, die erst recht auf die Kunstgeschichte anzuspielen scheinen. Gert & Uwe Tobias haben zu jeder einzelnen Form der Holzschnitte eine Druckplatte angefertigt. Im gesättigten Farbauftrag scheinen die Oberflächen aufgerissen. – Bei einem der Holzschnitte stehen fünf Stuhl-Konstruktionen symmetrisch nebeneinander in einem Saal, davor kriecht ein Wesen, das ein mutierter Tausendfüßer sein könnte. Aber auch die Stühle tragen mit ihrer Heraldik die Züge von Geschöpfen. Scherenschnitt und räumliches Empfinden treffen zusammen, liegen schon in der subtilen Andeutung der Sitzflächen vor. Das gleiche Vokabular, mit dem die Farben in strenge Formen eingebunden sind, kennzeichnet dann rechts einen Spiegel und eine ellipsoide Trophäe. Vor allem vermittelt sich hier eine folkloristische Anmutung, bei der die strenge Formsprache ins Spielerische gewendet ist: Attraktiv und einprägsam und voller Rätsel und Fragen.
Die Zwillingsbrüder Gert & Uwe Tobias wurden 1973 in Kronstadt in Siebenbürgen/Rumänien geboren, im Alter von zwölf Jahren ist die Familie nach Deutschland übergesiedelt. Für ihre Heimat und deren Mythen – mitsamt Transsilvanien und Graf Dracula – werden sie sich auch später interessieren. Gert & Uwe Tobias studieren an der Kunstakademie in Braunschweig bei Walter Dahn, seit 1999 arbeiten die Zwillinge, die in Köln leben, zusammen. Das „&“-Zeichen zwischen ihren Vornamen ist nicht nur Ausdruck für das Gemeinschaftliche und Hinweis auf das Rankwerk als Stilmittel, sondern benennt auch den Mehrwert, wenn der Eine auf eine Idee des Anderen reagiert. Verschiedentlich wurde dafür auf das Verfahren des Cadavre Exquis im Surrealismus hingewiesen. Eine weitere Bezugsquelle sind die Collagen, die hier mitunter an Max Ernst denken lassen. Daneben finden sich bei Gert & Uwe Tobias immer wieder Anklänge an den Kubismus wie auch an den Expressionismus. Edvard Munch ist eine wichtige Referenz. Dürer mit seinen Holzschnitten, natürlich, eine weitere. Und doch sind die Holzschnitte mit ihren Effekten des Zufälligen bei Gert & Uwe Tobias ausgesprochen zeitgenössisch. Wir schauen von hier aus in die Dunkelkammer der Erinnerung zwischen Ordnung und Groteske; „nichts verweist auf die unmittelbare Gegenwart“, schreibt Sarah Suzuki im Katalog, diese Bilder sind „gleichzeitig im Jetzt und im Nicht-jetzt“.
Gert & Uwe Tobias | bis 23.8. | Museum Morsbroich in Leverkusen | 0214 85 55 60
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