Das Massaker war ein Versehen. Im Juni 2009 wurden in einer Duisburger Pizzeria sechs Menschen erschossen. Die Hinrichtung geht auf Kosten der Mafia in Deutschland, die plötzlich ins Rampenlicht geriet. Trotz des Aufsehens hält die hiesige öffentliche Meinung weiter daran fest, dass die Verbrechensorganisation eher ein italienisches Problem sei. Daran wird auch der Theaterabend „Mamma Mafia“ im Kölner Schauspielhaus nichts ändern.
Der italienische Regisseur Antonio Latella hat zusammen mit dem Autor Federico Bellini eine Art Doku-Trash-Stück zum Werden und Wirken der Mafia vor allem in Italien entwickelt. Die sechs sizilianischen und sechs deutschen Darsteller sind streng vor mobilen Holzgittern aufgereiht, die an alte Gerichtsabsperrungen erinnern. Ihre Kleidung ist schwarz. Man erfährt von einem Bürgermeister der Grünen Partei, der sich in der Sozialarbeit engagiert und dann als Mafioso entpuppt. Die Verstrickung der amerikanischen CIA mit der Mafia im Jahr 1943 wird genauso thematisiert wie deren Verbindungen zur Bank des Vatikans oder zum politischen System Italiens. Texte der Mafiaforscher Eva Reski und Roberto Saviano werden zitiert. Zwischendurch erklingen sizilianische Volkslieder oder ein altes Epos. Eine Leinwand vor dem weißen Rundhorizont hämmert dem Betrachter die wichtigsten Statements noch mal schlagwortartig ein. Das Doku-Material zwischen Fakten und Fotos prasselt auf die Zuschauer nieder, gelegentlich aufgelockert durch das theatralische Gestenrepertoire der Mafiosi wie die Kusshände, die schnell zum Mund geführten Fingerspitzen oder der zur Nase zeigende Doppelfinger.
Ähnlich wie Karin Beiers Jelinek-Abend zäumt Latella den ersten Teil wie ein Orato- rium zwischen Furor und Wehmut auf. Die offene Anklage wirkt als Kontrastmittel zum clandestinen Operieren der Mafia, besitzt im Kern aber selbst Bekenntnischarakter, der gegen die im Stück behauptete religiöse Dimension der Mafia gesetzt wird: Die Verbrechensorganisation umfasse alle Lebensbereiche bis in die Familie hinein. Es ist ein lutherisches „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!“ und dient, wie die sizilianischen Schauspieler bekennen vor allen der identifikatorischen Selbstfindung: Die Mafia habe die italienische Identität derart kontaminiert, dass eine Neubestimmung erforderlich sei.
Findet die Regie hier trotz mancher Längen durchaus starke Bilder, verläuft sie sich nach der Pause im Trash. Es geht um das gegenwärtige Italien, das in Gestalt von Birgit Walter im rot-weiß-grünen Tutu auf einem Barhocker sitzt und sich von Männern mit Silvio Berlusconi-Maske bespringen lässt. Es kommt zu männlicher Rudelbildung in Sporthosen, Michael Weber gibt den Moderator im Goldjackett, Italiens „berühmteste Ex-Minderjährige“ Ruby kommt genauso vor wie der neapolitanisch-rheinische Müllskandal – doch diese Trash-Show ist derart harmlos und letztlich auch hilflos, dass sie den Eindruck des Beginns weitgehend zunichte macht.
„Mamma Mafia“ von Antonio Latella I R: Antonio Latella I Schauspielhaus Köln I Fr 10.6., Fr 17.6. je 19.30 Uhr, So 12.6., Mo 13.6., So 26.6. je 18 Uhr
Karten: 0221 22 12 84 00
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