Der Gegenstand von Glauben kann alles Mögliche sein: Götter, Feen, Ufos, Aberglaube, oder man kann auch an gar nichts glauben. Glaube ist das Thema des diesjährigen Sommerblut Festivals. Das Festival bezeichnet sich selbst als Festival der Multipolarkultur – heißt, dass es möglichst viele Kulturen und Identitäten in ihrem Programm einbinden und darstellen will. Mit dem Motto „Glaube“ greifen die Organisatoren aktuelle Debatten auf und wollen gerade in Zeiten von vermehrter Fremdenfeindlichkeit und Übergriffen auf Nichtchristen den interreligiösen Dialog fördern. Besonders auf die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Kölner Religionsgemeinschaften wird Wert gelegt.
„Das gegenseitige Kennenlernen religiöser Traditionen und Feierlichkeiten ist ein wichtiger erster Schritt in Richtung Toleranz und Akzeptanz von Unterschieden“, sagt die Vorstandsvorsitzende des Festivals Andrea Asch. In Form von Theater- und Tanzaufführungen, Performance und Musik soll ein Austausch erfolgen.
Ein wichtiges Anliegen der Organisatoren ist zudem die Barrierefreiheit des Festivals. Die Inklusionsbeauftragte Mechthild Kreuser sitzt selbst im Rollstuhl und hat zusammen mit ihrem Team daran gearbeitet das Festival weiterhin für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen. So sind 24 der 35 Produktionen rollstuhlgeeignet, fast genauso viele mit einer Audiodeskription und/oder Gebärdenübersetzung ausgestattet, und Begleitpersonen von Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis erhalten freien Eintritt. Die Zugänglichkeit der Veranstaltungen ist zudem im Programmheft gekennzeichnet. „Die Herstellung einer umfassenden Barrierefreiheit ist ein kontinuierlicher Prozess, der in den kommenden Jahren weiter ausgearbeitet wird“, erklärt Mechthild Kreuser.
Aber die Kunst selbst beschäftigt sich auch mit barrierefreien Mitteln. So sehen Lisette Reuter und Dodzi Dougban vom Projekt „Present“ (10. & 11.6. 20 Uhr, Comedia Theater) Gebärdendolmetscher und Audiodeskriptionen weniger als Hilfs- als auch als Stilmittel, die sie aktiv in ihrer Performance integrieren wollen. Das Projekt „Present“ der mixed-abled Un-Label Performing Arts Company beschäftigt sich mit Eigen- und Fremdwahrnehmung, Parallelwelten und mit Verantwortung, die wir alle für unsere Gegenwart tragen müssen.
„Wieso gelingt es uns häufig eben nicht tolerant zu sein?“, fragt Stefan Herrmann und greift in seiner Produktion „City of Faith – Glaubt doch was ihr wollt“ (30.5.-1.6. je 19 Uhr, Freie Waldorfschule Köln) das Thema Religionstoleranz auf mit dem Schlüsseltext der Aufklärung: die Ringparabel aus Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing. „Es gibt keinen richtigen, keinen falschen Glauben“, fasst Herrmann die Parabel zusammen, aber will in seinem Theaterstück nicht nur ihre Grundaussage bearbeiten: „Wir sollten respektvoll und achtsam miteinander umgehen.“ Vielmehr fragt er sich, was er denn einem „toleranten Bildungsbürgertum“, wie er das Publikum des Festivals beschreibt, noch erzählen und es dadurch herausfordern kann. Es ginge auch darum eigene Vorurteile herauszufinden. Dafür suche er noch Teilnehmer verschiedener Religionsgemeinschaften, die mit ihm zusammen sein „biografisches Theaterstück“ erarbeiten. Hanna ist Jüdin und Teil des Ensembles rund um Stefan Herrmann. Sie erklärt ihre Partizipation: „Ich find‘s gerade in heutigen Zeiten erst recht wichtig sich nicht zu verstecken, unabhängig davon, wie die Leute reagieren.“
Zudem setzt Stefan Herrmann auch sein aus dem letzten Jahr erfolgreiches Projekt „Drugland“ fort mit „Das Mädchen ohne Hände“ (6.-8.6. je 20 Uhr, Freies Werkstatt Theater). Die Projektgruppe Drugland besteht aus Menschen mit langjähriger Suchterfahrung und erzählte auf dem Sommerblut 2018 ihre Geschichten. Dieses Jahr haben sich die Teilnehmer gewünscht mit einem fiktionalen Text zu arbeiten, in den sie ihre eigenen Erfahrungen einfließen lassen können. Das Grimmsche Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ dient als Grundlage für das gleichnamige Stück.
„Religion und Frauenrechte – ist das ein Widerspruch?“ Kritisch beschäftigt sich Ana Valeria Gonzalez, die Newcomerin des Festivals 2018, in „Believe It or Not“(28.-30.5. je 19.30 Uhr, Bürgerhaus Stollwerck) mit Frauenrechten und Glaube. Das Thema ist für sie auch mit Aspekten wie Sexualität und Fluchterfahrung verbunden. In dem interaktiven Stück erzählen 20 Frauen verschiedener Herkunft und Religion von ihren Erfahrungen mit weiblicher Religionsausübung. Gonzalez: „Wir sind schwarz, wir sind weiß, wir sind Frauen of Colour, wir glauben an Gott, wir glauben an nichts – wir sind alles!“
Zum ersten Mal findet im Rahmen des Festivals das Kölner Festival der Religionen (9.6. 14-22 Uhr, Bürgerhaus Stollwerck) statt. In Kooperation mit dem interreligiösem Musikfestival „Faiths in Tune“ und dem Kölner Rat der Religionen soll hier ein sicherer Raum geschaffen werden für Austausch und das gegenseitige Kennenlernen von religiösen Traditionen. Das Festival setzt sich unter anderem aus dem „Markt der Vielfalt“ und interaktiven Workshops zu Gospel, Tänzen und Meditation zusammen. Dabei sollen aber nicht nur Weltreligionen dargestellt werden, sondern auch kleinere Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel die spirituellen Traditionen Hawaiis oder die Religionsgemeinschaft der jamaikanischen Rastafaris.
Kölner Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter und Mitglied des Kölner Rats der Religionen erklärt, warum das Festival der Religionen für ihn von Bedeutung ist: „Die Zeit ist dafür reif! Wenn ich sehe, wie ganz aktuell das Thema ist, dass Juden und Jüdinnen in Köln diffamiert und beleidigt werden, dass Türken und Muslime angemacht werden in dieser Stadt, dann schäme ich mich für diese Stadt! Wir müssen aus dem Gegeneinander raus und diese Vielfalt miteinander entdecken! Das ist erst der Anfang – wir müssen uns unsere Geschichten erzählen!“
Sommerblut – Festival der Multipolarkultur | 25.5. – 11.6. | div. Orte | www.sommerblut.de
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