Die Worte laufen als Projektion über den Boden. Satzgebirge der Schriftstellerin Gertrude Stein. Verwundert stochern drei Schauspieler in dem Textwust herum, klauben Formulierungen auf – für einen Moment befreit von der Last szenischer Hermeneutik folgen sie nur der Wünschelrute des persönlichen Geschmacks („Das gefällt mir!“).
Die Szene kurz vor Schluss ist kein Leitfaden für die c.t.201-Produktion „weiter an-fangen. wir fangen an“, die Heidrun Grote und Katja Butt nach Texten der amerikanischen Sprachkünstlern eingerichtet haben. Aber sie erzählt von Spuren der Annäherung an Gertrude Stein und ihr vom Kubismus angeregtes Spiel mit Form und Klang der Sprache.
Nach einem etwas verstolperten Beginn mit drei Figuren, die unter tautologischen „Ich“-Rufen aus den papierbeschlagenen Würfeln kriechen, findet der Abend bald seine Spur. Ein einfacher Dialog der Schauspieler Christine Käutner, Aurélie Thépaut und Tobias Novo entwickelt sich zum federleichten Disput innerer Stimmen. Ein verträumtes Hin und Her des Ichs zwischen Ausgrenzung und Verbrüderung.
Identität ist das große Thema des Abends. Da schreibt die Figur Ida einen Brief an sich selbst. Christine Käutner reißt dazu eine Papierbahn aus dem Boden und ver-liest den Text als Heroldin ihrer eigenen Differenz. Tobias Novo kriecht in eine Kiste und sinniert über Herr, Hund und Ich („Ich bin ich, weil mein kleiner Hund mich kennt.“). Nicht immer verbinden sich dabei die Szenen organisch, und auch das rhythmische und chorische Sprechen als klangliche Sinnproduktion gelingt selten. Dafür gerät die Szene „In einem Garten“, in der ein Mann Königin sein will und von zwei weiblichen Königen umworben wird, zum rasanten Slapstick zwischen Ge-schlechtertausch, Identität und Blödsinn, der auch zeigt, wie viel Komik in den Texten der Gertrude Stein steckt.
Witz, Tautologie und Geschlecht liegen auch im Bestattungshaus Kuckelkorn nah beieinander, wo Futur 3 eine Trauerfeier für Lolo Ferrari, die im Jahr 2000 verstorbe-ne Sängerin, Pornodarstellerin mit Riesenbusen abhält. Ihr Ehemann Andreas Borlat, Held von Antoine Jaccouds Monolog „Ich bin der Mann von Lolo“, ist gerührt angesichts der Gemeinde, schenkt Wein aus und gerät ins Erzählen. Von seiner trostlosen Existenz als Frührentner, seiner Vorliebe für vollbusige Frauen und seiner Heirat mit der Silikonfee, dieser Tautologin ihres Geschlechts. Stefan H. Kraft spielt die Hauptfigur mit einer jungenhaften Naivität, die ständig Einverständnis fordert und dabei das eigene Versagen ausstellt. Die Brüste werden zu kleinen Kindern erklärt und damit der Standard der Kleinfamilie erfüllt; Lolo Ferraris Arbeit am eigenen Körper fällt unters bürgerliche Leistungsethos. Nicht überzeugend ist Krafts württembergischer Dialekt, auch dass die Brüchigkeit des Charakters auf der gutgelaunten Strecke bleibt, ist schade. Absurd wird es dann, wenn er eine Fahrhilfe für Lolo Ferraris Brüste präsentiert und zwei Melonen spaltet, die er als Hostie ans Publikum verteilt: Fleisch von ihrem Fleisch. Eine unterhaltsame Petitesse, die allerdings weniger satt macht als Appetit auf das große Petersberg-Projekt der Gruppe.
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