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Emotionale Architektur: Jan Liesegang (Mitte) von Raumlabor Berlin zu Gast in der Temporary Gallery
Foto: Rebecca Ramlow

Lebst du schon oder isst du Eis?

13. Juni 2019

Wenn die freie Szene mitmischt: „The Streets Are Ours“ – Spezial 06/19

Trotz Hitze ist der Andrang groß bei dem Auftakt-Symposium von „The Streets Are Ours“ am 24. Mai in der Temporary Gallery. Zugegeben klingt der Titel wie eine Revolution von unten. Tatsächlich ist es eine kleine, aber feine Revolution in Form eines kreativen und wissenschaftlichen Einmischens der freien Kunstszene in die Zukunft der Stadt. Doch was verbirgt sich genau hinter AIC on? Und wie mischt diese mit? AIC on ist ein 2015 gegründetes Gemeinschaftsprojekt freier, nicht kommerzieller Kölner Kunstinitiativen (Art Initiatives Cologne), das mit einer Konferenz eingeläutet wurde. Die Temporary Gallery, eine Galerie für zeitgenössische Kunst, ist an diesem Abend in quietsch-pinker und grüner Farbe gestrichen. So bunt und abwechslungsreich wie das Projekt selber: Das gesamte Wochenende wurden die Kölner Straßen beschlagnahmt, sich ausgetauscht, gemeinsam zu Ausstellungen, Aktionen, Lesungen oder Konzerten gelaufen oder mit dem Fahrrad gefahren.

Über allem schwebt die Frage: Wie wollen wir leben? Und: Wo stehen wir in unserer Stadt? Viele kennen bestimmt den verheißungsvollen Schriftzug „Liebe deine Stadt“ oder auch das Kunst-Eis, das am Neumarkt hängt. Da wird der Konflikt besonders deutlich: Einerseits lieben wir die Stadt, weil sie uns so viele Optionen bietet, andererseits hassen wir sie, weil urbane Räume Konsumtempel sind.

Der in Köln geborene und jetzt in Berlin lebende Architekt Jan Liesegang von „Raumlabor Berlin“ spricht deshalb auch von einer urbanen Krise: Raumlabor Berlin ist eine Architektengruppe, die experimentelle Projekte im öffentlichen Raum umsetzt, in denen unterschiedliche Menschen aufeinanderstoßen. Zwar hätten wir in der vermeintlich paradiesischen Stadt von heute alles, was wir uns vorstellen können, und mehr. Dennoch löse die Moderne eine große Unruhe in uns aus, da wir ständig damit beschäftigt seien zu konsumieren. Wir sind nur noch „busy“. Liesegang plädiert deshalb für eine emotionale Architektur, die er mit Projekten wie einem inklusiven Kunsthaus mit Rolltreppe oder auch einer öffentlichen, aus Recycling-Produkten erschaffenen Sauna in Göteborg bereits verwirklicht hat. Der Werbeslogan „Wohnst du noch oder lebst du schon?“ wird bei ihm architektonisch umgesetzt.

Ein weiteres zu AIC on gehörendes Projekt ist die Initiative „Unser Ebertplatz“, die seit einem Jahr versucht mit diversen Arbeitsgruppen und Anwohnern den Platz sozio-kulturell und optisch zu verbessern. Das hat der Ebertplatz auch bitter nötig, erfolgte doch in den 70ern eine nicht ganz so hübsche Umgestaltung. Als unschöner Höhepunkt wurden 2001 Rolltreppen und Wasser abgestellt. Noch ausgrenzender konnte er auch für Menschen mit Behinderung wohl kaum sein. In den letzten Jahren sorgten zudem Drogentote für Negativ-Schlagzeilen, wie Helle Habenicht von der Kampagne berichtet. Wie kann man also einen stigmatisierten Ort vom hässlichen Entlein in einem Wohlfühlort mit Teilnahme der Bevölkerung verwandeln? Die Künstlerszene reagierte bereits mit Protesten. Immerhin bewegt sich in der Ebertplatz-Passage etwas im kulturellen Untergrund. Doch was geschieht 2020? Die Sozialwissenschaftlerin spricht von weiteren kulturellen Veranstaltungen und steckt die Ziele sogar noch höher, indem der ach so graue Ebertplatz zu einer klimagerechten Stadt beitragen solle.

Das, was alle Initiativen eint, ist der Wunsch nach mehr Mitspracherecht der Bürger und flachen Hierarchien. Nach non-profit statt neo-liberal. Nach Inklusion statt Ausgrenzen. Das Individuum soll nicht von der Gesellschaft getrennt werden. Daran schließt sich auch die „Niehler Freiheit“ an: Ein gemeinnütziger Verein, der 2017 „mitten im Ghetto“ entstand, wie Daniel Morsi humorvoll und ehrlich berichtet. Schließlich gebe es auch unschöne, blinde Flecken in der Domstadt, die manch einer noch gar nicht erkundet habe, weil dort eben nicht so viel geschieht. Statt wegzuschauen, sollen hier mittendrin Performances, Konzerte und Filmreihen stattfinden. Zudem ist das Projekt auf die Idee gekommen, einen mobilen Zahnarzt für Syrien auf Tour zu schicken.

Gemäß dem Motto „mitgestalten“ ist der Austausch unter den Teilnehmern des Symposiums groß. Es bleibt spannend, ob und wie es tatsächlich mit dem Einmischen in der Domstadt weitergeht. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.

Info: „Unser Ebertplatz“: unser-ebertplatz.koeln | „Niehler Freiheit“: niehlerfreiheit.de | „Raumlabor Berlin“: raumlabor.net | „X-Süd“: www.x-sued.de

Rebecca Ramlow

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