Wer sich mit der Politik einlässt, gerät manchmal vom Regen in die Traufe. Mit ihrer Strickjacke und dem grauen Rock sieht die junge Isabella aus wie der Inbegriff der Biederkeit und Tugend. Gerade deshalb hat der scheinasketische Interimsdiktator Angelo ihr Sex gegen Straferlass für ihren zum Tode verurteilten Bruder angeboten. Beim Besuch im Knast wird Isabella dann von einem vermeintlichen Mönch bedrängt, dem regulären Machthaber Vincentio, der mit einer Brille samt angeklebter Nase eher wie ein Karnevalsclown aussieht. Sein Ziel wiederum ist, Angelo zu entlarven und die Tugendhafte ins eigene Bett zu kriegen.
Shakespeares „Maß für Maß“ im Theater Bauturm ist zunächst allerdings eine reine Männerangelegenheit. Fünf Testosteronbolzen hängen auf der Bühne ab. Ein DJ sorgt an den Computern für die entsprechende Musik, man frozzelt, produziert sich und macht schlechte Witze wie „Angela Merkel hat Durchfall, und 80 Millionen Deutsche freut das.“ Spiegel im Hintergrund werfen den Männern ihre eigenen Bilder zurück. Das Shakespearesche Fantasie-Wien ist ein Drecksloch, und Machthaber Vincentio (Johann Krummenacher) weiß das. Er macht gute Miene zum blöden Spiel und plant längst seinen vorübergehenden Rückzug, um einen Mann fürs Grobe ranzulassen – ohne dabei selbst einen Imageschaden davonzutragen. Dieser Mann ist Angelo (Bernhard Bauer), der mit Anzug, Schal und Stahlbrillengestell wie ein Intellektueller aussieht. Seine Lust sind Verhaftungen, Todesurteile sowie der Dreck, in den er Isabellas Tugend ziehen will. Dabei läuft der Überwachungsstaat wie geschmiert: Monitore übertragen die Bilder einer Livekamera und zeigen ID-Nummern, Herrscherbilder, Fingerabdrücke (Video: André Lehnert). Nichts und niemand bleibt unbeobachtet in der schönen neuen Welt dieses Robespierre, der Wiener Schmäh zum Staatsterror umdeutet.
Selbstdarstellung in Überwachungskameras
Regisseur Gerhard Roiß versucht, „Maß für Maß“ mit aktuellen Überwachungspraktiken kurzzuschließen. Das funktioniert zu Beginn ganz gut. Doch allmählich verschafft sich das Stück seinen Raum, und die Aktualisierung sitzt auf der Inszenierung wie ein Sahnehäubchen. Da hätte man Roiß mehr Mut gewünscht, das Stück aufzusprengen und den Zusammenhang zwischen Überwachung, Kameraeinsatz auf der Bühne und Lust an der medialen Selbstdarstellung weiter auszuleuchten.
Vincentios Rückzug und Angelos Machtrausch finden ihren Kulminationspunkt an der Verhaftung Claudio (Maximilian Löwenstein), der in einem Plexiglaskäfig schmachtet. Dass Isabella ihren Bruder dann doch zum Tod zu überreden versucht, zeigt, dass ihre Tugend auch einer Selbstinszenierung als Standhafter entspringt. Nicht umsonst spielt Schauspielerin Alexandra Lowygina auch die Rolle der osteuropäischen Hure Olympia. Am Ende löst sich die Machtintrige einfach auf. Die Frage, inwieweit wir selbst zur Überwachung beitragen und sie uns vielleicht sogar wünschen, bleibt unbeantwortet.
„Maß für Maß“ von William Shakespeare I R: Gerhard Roiß I Theater im Bauturm | 7.-10./23.-26.2., 20 Uhr I www.theater-im-bauturm.de
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