choices: Herr Bachmann, was bedeutet es nach Karin Beier in Köln anzutreten?
Stefan Bachmann: Es bedeutet, eines der führenden Häuser Deutschlands zu übernehmen, das unter der Leitung von Karin Beier enormen künstlerischen Erfolg hatte. Daran werde ich wohl gemessen werden, und das ist auch gut so. Karin Beier ist ihren Weg gegangen und ich werde jetzt versuchen, mit einem neuen Leitungsteam, an einem neuen Spielort, mit einem neuen Ensemble meinen Weg zu finden.
Sie haben 2003 nach der Schauspielleitung in Basel eine Auszeit genommen. Wann kam die Lust zurück, doch wieder ein Haus zu leiten?
Die Lust bahnte sich über einen längeren Zeitraum an. Bei der Besetzung des Thalia Theaters in Hamburg vor sechs Jahren wurde ich gefragt und war ganz nah dran, es hat dann doch nicht geklappt. Ich hatte aber Blut geleckt. Im Nachhinein glaube ich aber, dass es noch zwei oder drei Jahre zu früh gewesen wäre. In Köln fühlte es sich dann genau richtig an, hier Intendant zu werden und ich habe sehr gehofft, dass es klappt. Es kam genau im richtigen Moment.
Worin liegt der Reiz, ein Haus zu leiten?
Ich genieße das, seit es im Sommer 2011 begonnen hat: Die ersten Gespräche, die Vertragsverhandlungen, die Suche nach dem Team, das Nachdenken darüber, was die Utopie eines Theaterbetriebes wäre – das ist die eine Schiene. Die andere ist die Begegnung mit der Politik, also der Realität. Als vor einem Jahr alles in hellem Aufruhr war, hat mich das schlaflose Nächte gekostet. Das war unerfreulich und anstrengend, aber es hat mir trotzdem immer Spaß gemacht. Ich habe Dinge gelernt, die mir komplett neu waren. Als Regisseur war ich bisher an Häusern zu Gast, die sehr gut funktionieren und da setzt man sich dann ins gemachte Nest. Jetzt bin ich dafür verantwortlich, dass der Betrieb funktioniert. Das kostet manchmal viel Kraft, aber es ist auch ein schönes Gefühl, viel gestalten zu können. Ich glaube, dass ich auf leise Art schon einiges bewirken konnte.
Versuchen sie doch mal Köln zu charakterisieren?
Köln ist katholisch, lebensfroh, offen, herzlich, mauschelig, ein bisschen schmuddelig, sinnlich, amüsiersüchtig, begeisterungsfähig und auf nette Weise proletarisch. Das Aufgerissene, Hässliche, Unfertige in Köln ist auch etwas Liebenswertes im Vergleich zur unendlichen Perfektion meiner Heimatstadt Zürich.
1998 sind Sie am Theater Basel mit einem gewaltigen Elan eingezogen. Wie lässt sich eine Stadt wie Köln erobern?
Mein Konzept von damals bestand zur Hauptsache in jugendlicher Arroganz. Ganz gleichgültig wie die Stadt Basel damals getickt hat, wollte ich zeigen, dass ein Generationswechsel im Theater Not tut. Und dafür war ja damals wirklich die Zeit reif. Das ist in Köln ein bisschen anders. Für einen Generationswechsel kann ich ja nun nicht mehr stehen (lacht). Mich interessiert viel mehr, den Dialog mit der Stadt zu suchen, dass in der Reibung und im Austausch etwas entsteht, das es so nur in Köln gibt. Es geht um eine ursprüngliche Idee von Stadttheater. Ich sehe mich nicht in der Konkurrenz zu anderen großen Häusern, die alle ein wenig gleich aussehen. Es geht mir auch nicht um möglichst viele Einladungen zum Theatertreffen in Berlin. Erst als feststand, dass wir im Carlswerk in Mülheim spielen, war es mir möglich, den Spielplan zu denken, der auf sehr unterschiedliche Weise die Themen reflektiert, die uns auf diesem stillgelegten Industriegelände anspringen. Ein Gelände, das ja in seiner Umdeutung sehr exemplarisch ist für einen urbanen Wandel, wie er sich vielerorts abspielt. Und natürlich reagieren wir sehr stark auf die multikulturelle Nachbarschaft.
Sie waren damals in Basel ein Verfechter postdramatischer, popkultureller oder dekonstruktiver Verfahren auf der Bühne - was ist heute davon geblieben?
Die Jahre sind darüber hinweg gegangen. Das Sprengen der Form nutzt sich ab. Deswegen habe ich im Moment eine große Lust, wieder sorgfältiger mit Texten umzugehen. Für zeitadäquat halte ich im Moment das Erzählen von Geschichten. Das Leben selbst ist eine Geschichte, die sich schreibt und die sinnvoll, grotesk, bruchhaft oder rund ist. Im Erzählen liegt ein archaisches, vielleicht auch archetypisches Bedürfnis, aber auch ein Moment von Selbstvergewisserung und Selbstreflektion - und sogar etwas Tröstliches.
Sie haben sich mehrfach mit Stücken von Paul Claudel auseinandergesetzt und inszenieren in Köln Ayn Rands Roman „Der Streik“, eine monumentale Verklärung der elitären Unternehmerfigur, dem der Sozialstaat der Schwächlinge gegenübergestellt wird. Ist das ein Versuch, quasi ex negativo aus dem Katholizismus oder dem Kapitalismus utopische Funken zu schlagen?
Wir leben in einer Zeit, die so nüchtern und utopielos ist, weil niemand mehr an etwas glaubt. Wenn man Claudel oder Rand zu Ende denkt, sind das beides Modelle, die zu einem besseren, freieren Leben führen sollen, auch wenn man am Ende vielleicht zu dem Schluss kommt, dass es so auch nicht ganz funktioniert. Es fasziniert mich, mich mit derart utopischen Gewissheiten auseinanderzusetzen. Es irritiert und provoziert mich. Eingefrästes Denken und Empfinden wird in Frage gestellt. Ich liebe es, mich spielerisch diesem mir fremden Denken hinzugeben, bei Claudel zum Katholiken zu werden, bei Rand zum Kapitalisten. Um plötzlich festzustellen, wie unvermutet aktuell dieses Plädoyer für die unverblümte Wahrheit und gegen einen alles kontrollierenden, notorisch lügenden Staat heute in Zeiten von Überwachungsskandalen wieder ist. Ich werde die Autorin Ayn Rand jedenfalls nicht auf der Bühne kritisieren, die Auseinandersetzung soll im Zuschauerraum stattfinden. Das Publikum ist kompetent genug, sich seine eigene Meinung zu bilden.
Karin Beier war vor sechs Jahren mit dem Anspruch angetreten, mehr Kopftücher im Zuschauerraum sehen zu wollen. Das hat sich als sehr schwierig erwiesen. Wie lautet ihr Rezept, in Mülheim auch ein migrantisches Publikum anzusprechen?
Unser Keupstraßen-Projekt soll die Menschen der Straße miteinschließen, sie sollen mit auf der Bühne stehen. Doch es reicht nicht aus, das über das Theater lösen zu wollen. Ein weiterer Aspekt ist unser Theatergarten, den wir angelegt haben. Das ist aktive Nachbarschaftspflege. Das sind Dinge, die leise und unspektakulär von Statten gehen. Da kommt eine Familie und pflanzt einen Rebstock aus Anatolien und man kommt ins Gespräch. Vielleicht lässt sich darüber eine Schwelle abbauen. Es wird auch Vorstellungen geben, die türkisch oder arabisch untertitelt sind.
Sie machen viele Uraufführungen, springen aber nicht auf das Jungautorenkarussell auf mit den Stockmanns, den Zellers, den Löhles. Warum nicht?
Ich springe eh nicht gerne auf irgendein Karussell auf. Der Ehrgeiz besteht doch darin eigene Entdeckungen zu machen. Wir haben Salazar und Amir, Jahrgang 80 und 82. Wir haben Jens Albinus, der viel mit Lars von Trier gearbeitet hat, der für uns ein Stück schreibt. Wir entwickeln aus Themen wie Kippenberger und der Geschichte des Carlswerks Theaterstücke. Das ist alles sehr exklusiv und eben nicht beliebig irgendwelchen Trends hinterher gerannt.
In Ihrem Ensemble finden sich viele Gesichter aus Ihrer Basler Zeit wie Bruno Cathomas oder Katharina Schmalenberg. Wie wichtig sind Kontinuitäten für Sie? Geht es darum eine (Theater-)Familie zu schaffen?
Familie (lacht), klar. Ich bin ein totaler Familienmensch, vor allem am Theater. Das ist eine Qualität von mir. Die anderen Schauspieler sind mir aber auch vertraut, aus anderen Arbeitszusammenhängen. Kontinuität ist etwas sehr wichtiges und schönes für mich.
Schauspiel Köln / Michael Frayn: „Der nackte Wahnsinn“, 27.9. (P), Bertolt Brecht: „Der gute Mensch von Sezuan“, 28.9. (P), „Kippenberger“, 11.10. (UA), Ayn Rand: „Der Streik“, 12.10. (UA) .
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