Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein. Ähnlich dem Türmer in Goethes Totentanz muss sich Amelie Niermeyer in Düsseldorf gefühlt haben, das Laken in der Hand, doch fünf Jahre auf der Flucht vor den Gerippen. Ihre Abschlussinszenierung in der Landeshauptstadt ist „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ nach dem Roman von Horace McCoy in der eigenen Fassung mit Szenen von Lutz Hübner und Martin Heckmanns. Auch wenn man es losgelöst vom Intendantinnen-Ende betrachtet, auch wenn man die Möglichkeit, fast das gesamte Ensemble noch einmal auf die Bühne zu bringen honoriert, es war kein rauschender Abend, obwohl am Anfang 33 Tanzpaare das Parkett umrunden, Sydney Pollacks Verfilmung über das Wesen des bröckelnden amerikanischen Traum ist allgegenwärtig und das ist kein Kompliment. In den späten Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts waren die wochenlangen Tanzmarathons bis zur totalen Erschöpfung beliebt, die Tänzer lockte das Preisgeld, die Zuschauer ein Voyeurismus am physischen und geistigen Verfall der Sportler. Auf die Gegenwart projiziert entspricht das den unerträglich billigen Gameshows in den flachen Flimmerkisten, welchen Reiz die ausüben, konnte man am umjubelten Cabrio-Corso einer gewissen Lena am Premierenabend in der Altstadt beobachten, quasi eine Reflexion auf das Bühnengeschehen. Dort kämpfen die Paare um 220.000 Euro, gegen den Verschleiß der Muskulatur und den zynischen Schiedsrichter. Mit Tanz hat nur wenige Stunden etwas zu tun, danach wird die rhythmische Bewegung zur Tortur, nur die Liveband kann den Takt zwischen Rumba, Samba, Fox und Walzer halten, die Probanden in der Manege versuchen zu überleben
Das Bild der Inszenierung stimmt, die allzeit bewegte Choreografie auch, nur die Mittel, die Tragödien unter den Tänzern zu beobachten, hapern. Zwei Videokameras wandern zwischen ihnen hin und her, zeigen Beziehungen, menschliche Abgründe, Liebe und Hass und einen ungebrochen Hang zur Geldgier, die alle Fehler übertünchen und alte Wunden heilen soll. Das Publikum wird dabei unfreiwillig zur Staffage, die dreieinhalb Stunden zur eigenen Sportart, so reicht das Haus in der Pause dröge Hamburger, die kaum die Lebensgeister wecken. Denn die Szenerie bleibt gleich, die Bilder verbrauchen sich und die Geschichten darum sind nicht in Lage die Spannung zu halten. Hinter den Kulissen spielt sich das Drama zwischen Robert und Gloria ab. Er ist arbeitsloser Kamera-Assistent, sie eine Schauspielerin ohne Chance. Auf der Großbild-Leinwand sieht man den Todesschuss, mit dem er seine Tanzpartnerin auf ihre Bitte hin erlöst. Schwarzweiße Krimibilder ohne Seele, die auch dem schwulen Pärchen fehlt, das sich ziemlich weit nach vorne kämpft.
Seine lesbischen Konkurrentinnen gingen ohne Widerhall, ein muslimisches Paar verschwand einfach so von der Bühne des Central, einem Außenspielort des Schauspielhauses. Wenn die letzte Klappe einer Inszenierung fällt, die das filmische wollte, aber das theatralische nicht geschafft hat, eilen auch die Zuschauer erschöpft nach Hause. Amelie Niermeyer geht nun ans Mozarteum Salzburg und vielleicht zerschellen wenigstens die Gerippe.
„Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ I Cetntral Düsseldorf I So 12.6., 18 Uhr (zum letzten Mal!) I Infos: 0211-369911
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