Als Kind wollte ich Schauspielerin werden. Ich besuchte mehrere Theatergruppen und der Wunsch hielt so lange, dass meine vorsorgliche Mutter schon Schauspielschulen für mich aussuchte. Doch hatte ich mit 13 Jahren eine sehr autoritäre Kursleiterin, die mich regelmäßig anschrie und mir jegliche Lust an Darstellender Kunst nahm. Mit der Annahme, dass es überall so lief wie in meinem Kurs, entfloh ich dem Theater mehr als fünf Jahre.
Nach dem Abitur und einer kleinen Schulinszenierung, bei der ich mich vorsichtig wieder dem Theater annäherte, bewarb ich mich ohne Hoffnung am Schauspiel Köln, da es mit anderen kulturellen Institutionen nicht geklappt hatte. Zwei Wochen später stand ich vor einer luft- und lichtlosen Halle namens Probebühne, um bei einer neuen Produktion zu hospitieren. Und was für eine Produktion: Mit „Karnickel“ durften wir die neue Außenspielstätte am Offenbachplatz, liebevoll „Britney“ genannt, eröffnen. Meine traumatischen Erinnerungen verblassten umgehend.
Ein Job mit vielen Seiten
Ich hatte Glück. Unser Team galt als „Luxusproduktion“, denn, wie meine Vorgesetzte mir erklärte, ist eine Theaterproduktion eine hochsensible Angelegenheit. Schließlich hänge man für zwei Monate aufeinander und da könnten viele positive Erfahrungen, aber auch einige negative entstehen. Aufeinanderhängen heißt: Wir probten Montag bis Samstag von 10 bis 14 Uhr und später nochmal von 19 bis 22 Uhr. Oft verbringt man auch die fünf Stunden Freizeit gemeinsam, sodass ich in den zwei Monaten sehr intensive Freundschaften aufbauen konnte.
Die Rolle der Regiehospitantin ist nicht sehr groß, aber ich bin trotzdem ein (kleines) Zahnrad im kreativen Prozess. Ich schreibe am Regiebuch mit, das der spätere Wegweiser für alle aktiven Teilnehmer einer Vorstellung ist. Zudem kümmere ich mich um kleinere Probleme oder helfe einem Schauspieler, darf kreative Elemente ersetzen oder auch einbringen und ausprobieren. Am Ende durfte ich sogar eine Einführung in das Stück machen. Aber natürlich koche ich auch Kaffee und versorge alle mit einem Produktionsbüffet, was die Gesamtlaune erstaunlich heben kann.
Man merkt, wie etwas entsteht
Zwei Monate Probenzeit sehen idealerweise so aus, dass man die ersten sechs Wochen auf der Probebühne versucht, das Stück szenisch durchzubauen. Dafür gibt es ein Probebühnenbild und Probekostüme. Die letzten zwei Wochen werden auf der eigentlichen Bühne geprobt. „Verabschiede dich von deinem Privatleben“, sagten mir einige Schauspieler und Mitarbeiter. Die Endproben verlaufen recht straff. Vormittags ein Durchlauf mit einer kryptischen Abkürzung (z.B. AMA – „Alles mit allem“, HP 1/2 – erste Hauptprobe, GP – Generalprobe), danach Bewertung. Abends wird an den schwachen Szenen gearbeitet.
Das Wunderbare an diesem harten Alltag ist, dass man merkt, wie etwas entsteht. Spätestens als wir Originalkostüme und -bühnenbild bewundern dürfen, erkenne ich, warum wir alle das hier machen: Wir dürfen erschaffen. Auch wenn alle mir ständig raten, bloß nicht ans Theater zu gehen, weiß ich genau, wie sehr sie es lieben, etwas umsetzen zu können. Am Ende reden alle nur noch in Zitaten aus dem Stück, die Übermüdung ist deutlich zu spüren und meine vorgesetzte Regieassistentin kann ihr Handy nicht mehr weglegen, weil ständig neue Probleme und Ansprüche auftauchen. Die letzte Idee wurde knapp eine Stunde vor Premierenbeginn entwickelt.
Vorhang auf!
Die Premiere ist dann die unglaublich euphorische Belohnung für zwei Monate Druck, Schweiß und Geduld. Alle fallen sich nach der Vorstellung in die Arme, es wird getanzt und gelacht, und ich lasse diese belehrende und liebevolle Zeit Revue passieren. Sie hat mir eine kleine „Karnickel“-Familie gegeben, von der ich vor meinen Freunden nur noch schwärme. Ich verbrachte meine Freizeit in anderen Vorstellungen und schleppte Freunde mit. Einige beneideten mich um diese Welt, aber sie ist auch nicht für jedermann. Trotzdem bot sie mir einen großen Freiraum und neue Freundschaften, denn wir verbrachten viel Zeit miteinander, ob am See, in der Bar oder auf einer anderen Premiere.
Ich möchte das Theater nicht romantisieren. Es ist harte Arbeit und viel Stress. Die meisten meiner Freunde verstanden meine Begeisterung nicht und die Bereitschaft, meine anderen Interessen zurückzustellen, um mich dem körperlich anstrengenden Alltag einer Produktion anzupassen. Aber alle am Theater sind dazu bereit, aus der Leidenschaft, etwas erschaffen zu können. Obwohl sie es fast nie zugeben. Ich übrigens auch. Ich hospitiere schon bei der nächsten Produktion.
„Karnickel“ | R: Pınar Karabulut | 28., 29.12., 12.1. 20 Uhr | Schauspiel Köln, Außenspielstätte am Offenbachplatz | 0221 221 28 400
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