Messer, Beile, Eisenstangen, Pistolen – die Waffen, die derzeit in Deutschland für Angriffe auf Bürger genutzt werden, sind die konventionellen. Die der altbekannten Handwerkskunst des Tötens. Und die Orte, an denen diese Waffen zum Einsatz kommen, wie Züge oder Supermärkte, galten bisher nicht als sicherheitsgefährdend. Die Eröffnungspremieren des Freien Theaters in Köln liefern eine Signatur dessen, was man als psycho-seismische Reaktion auf die aktuelle Lage bezeichnen könnte. Das Analogtheater unter der Leitung von Daniel Schüßler hat in einer Art düsteren Ahnung bereits vor Monaten das Projekt „German Ängst“ angekündigt. Dabei sollen verschiedene Angst-Ausprägungen in den Blick genommen werden, von der Angst vor dem Islam, vor dem Statusverlust, bis zur Angst vor sozialem Abstieg – und vor jeder Form brutaler Attacken aus dem Nichts vermutlich. „Die Angst ist die Reaktion auf die Gefahr“, heißt es bei Freud einmal – ob sie nun eingebildet ist oder real. Dass oft auch Aufklärung nicht hilft, wissen wir. Aufklärung selbst ist so problematisch wie ambivalent, und diese berühmte Dialektik lässt sich herunterbrechen bis zu den düsteren Verdunkelungsmanövern des NSU-Skandals. Das Nö-Theater hat sich vor vier Jahren mit „V wie Verfassungsschutz“ schon einmal satirisch mit dem Thema auseinandergesetzt. Jetzt folgt mit „A wie Aufklärung“ in der Regie von Janosch Roloff eine Art Alphabet des Scheiterns.
Die Kehrseite der Angst und hilflosen Aufklärung findet sich in einer verblüffenden Anhäufung von Produktionen, die sich mit Phänomenen des Absurden, des Surrealen und Skurrilen auseinandersetzen. Jonas Hassen Khemiris Stück „≈ [ungefähr gleich]“, das PiaMaria Gehle am Freien Werkstatt Theater inszeniert, fällt noch in die Kategorie einer schrägen Auseinandersetzungen mit einem ökonomischen System, das Personen schlicht aussondert. So sehr der Obdachlose, die Aussteigerin oder der Wirtschaftswissenschaftler kämpfen – ihre Obsession bleibt unerwidert. Während der schwedisch-tunesische Autor eher noch einem trockenen absurden Humor frönt, inszeniert Marie T. Martins in „Heimsuchung, eine Geisterstunde“ ein surreales Familienstück. Ein Stück, in dem die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verfließen, in dem Körper sich auflösen und zum Stimmklang verdichten oder umgekehrt zu Ballaststoffen sich verdoppeln und ihrem Träger im Nacken sitzen. Die junge Truppe Tripletrips um Nikos Konstantakis und Markus Tomczyk wiederum widmet sich in „Pink is my favourite number“ gleich dem Phänomen der Absurdität – und all seinen Bezügen zum Realen. „Ich finde, dass die Welt als Ganzes absurd ist, oder doch nicht absurd ist. Es ist schwer zu sagen, was absurd ist, da wir kein Vorbild dessen haben, was nicht absurd ist“, meinte Ionesco. Und wenn alles absurd ist, dann steht es um das Reale letztlich doch wieder ganz gut.
„German Ängst“ | R: Daniel Schüßler | Studiobühne | 7.-11.9. 20 Uhr | 0221 470 45 13
„A wie Aufklärung“ | R: Janosch Roloff | Schauspiel Köln | 15.-17.9. 20 Uhr | 0221 952 27 08
≈[ungefähr gleich]“ | R: PiaMaria Gehle | FWT | 2., 14., 15.9. 20 Uhr | 0221 32 78 17
„Heimsuchung…“ | R: Ulrike Janssen | Theater der Keller | 15.9. 20 Uhr, 18., 25.9. 18 Uhr | 0221 27 220 990
„Pink is…“ | R: Tripletrips | Studiobühne | 21.-25.9. 20 Uhr | 0221 470 45 13
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Zukunft lauert im Egoisten
„Der ewige Spiesser“ am Theater der Keller – Auftritt 04/25
Nach Entlassung des Intendanten
Das Kölner Theater der Keller mit neuer Führung – Theater in NRW 04/25
„Ich erwische mich dabei, Stofftaschentücher zu bügeln“
Regisseur Sebastian Kreyer und Schauspieler Daniel Breitfelder über „Der ewige Spiesser“ am TdK – Premiere 03/25
Totale Berührung
„Do not touch!“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 03/25
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Der Witz und das Unheimliche
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Prolog 08/24
Schöpfung ohne Schöpfer
Max Fischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 05/24
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Der Übermann
„Boys don‘t cry“ in der TanzFaktur – Theater am Rhein 04/25
Zwischen den Fronten
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Zwischen Begierde und Tabu
„Spring Awakening“ am Jungen Theater Bonn – Prolog 04/25
Die Grenzen des Theaters
„Was ihr wollt“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
„Wir suchen Orte der Wut und Traurigkeit auf“
Dana Khamis und Judith Niggehoff vom Jugendclub Polylux über „Trauer//Fall“ am Schauspiel Köln – Premiere 04/25
Im Schatten der Diktatur
„Jugend ohne Gott“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 03/25
Freiheit oder Ausgrenzung?
„Draußen“ im Jugendpark Köln-Mülheim – Prolog 03/25
Der Mensch als Scherbe
„Der zerbrochene Krug“ am Horizont Theater – Theater am Rhein 03/25
Fixer im Dienst der Wahrheit
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/25
Spiegelbild der Wutbürger
„Kohlhaas (Can‘t Get No Satisfaction)“ am Schauspiel Bad Godesberg – Auftritt 03/25