Die Frage nach dem Kollektiv stellt sich erst gar nicht. Wer sich im leerstehenden Gebäude der Agentur für Arbeit einfindet, muss sich willkürlich einer Gruppe zuordnen lassen, deren Ziel aber die individuelle Lebensoptimierung ist. Jobsuche als Kapitalismustraining. Das Ensemble 2030 des Theater der Keller nimmt sich mit „Agenda“ das gleichnamige Reformprojekt Gerhard Schredders von 2003 vor und buchstabiert es in eine dystopische Zukunft.
In einem leerstehenden Gebäude der Arbeitsagentur vollziehen die 13 Performer als vorgelagerte Bürokratie zunächst eine Schreibtisch-Choreo als Gruppenritual. Danach kommandieren sie die Zuschauer in unterschiedliche Optimierungsstationen. Mal muss exzessiv getanzt werden, dann gibt es Schulungen in Antirassismus, Design oder Grundsicherung. „Agenda“ wird so zu einer zwar disparaten, nichtsdestoweniger deutlichen Demonstration, wie marktkonforme Strategien eine umfassende Zurichtung der Person bis in den Körper hinein vorantreibt.
Der Markt wird in Prozessionen zum Götzen verklärt; kapitalistische Praxis, wie die Philosophin Rahel Jaeggi einmal schrieb, als „übergreifende Lebensform“ fassbar. Doch die Performer sind selbst im Zyklus der Leistungsoptimierung gefangen, wollen von der vierten in die fünfte Etage aufsteigen, ziehen sich aber nach einer missglückten Rebellion in therapeutisch-psychiatrische Gefühligkeit zurück. Am Ende steht die Entlarvung: Die fünfte Etage erweist sich als Chimäre. Manches hätte sicherlich schärfer ausformuliert werden können, aber was die junge Truppe um das Regietrio Christoph Steć, Kamala Dubrovnik und Yana Novotorova darbietet, macht neugierig auf mehr.
Agenda | R: Christoph Steć, Kamala Dubrovnik, Yana Novotorova | keine weiteren Termine | Theater der Keller
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