choices: Frau Werner, „Exit Romeo“ ist mit der Altersbeschränkung „ab 18“ versehen? Ist ihr Stück nicht jugendfrei?
Silvia Werner: Da wir pornographisches Filmmaterial benutzen, muss es eine Altersbegrenzung geben. Es ist als Warnung gedacht, weil das nicht jeder sehen möchte oder nicht sehen darf.
In welchem Kontext setzen Sie das Material ein?
Das Stück basiert auf der Idee, dass wir in einer Zeit der Bilder leben, die unsere Wahrnehmung stark beeinflussen. Wir nehmen diese aus der Werbung, dem Internet oder dem Fernsehen auf und reproduzieren sie dann wieder. „Exit Romeo“ will hinter die offizielle Beziehungsfassade oder die offizielle Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ schauen. Die Pornoindustrie ist gerade im Kontext von Sexualität sehr interessant, weil sie eine Art dunkler Spiegelung dessen darstellt, worüber man noch reden kann.
Der Titel klingt nach einer Bühnenanweisung. Wieso muss Romeo abtreten?
Mit dem Romeo-Mythos verbinden wir dieses klassische Image von Liebe und Beziehung, von Treue und Ewigkeit. Dieses Klischee tritt ab und wir schauen uns an, welche Wünsche und Gedanken sich dahinter verbergen. Der Fokus richtet sich auf die Identität des Mannes und der Erwartungshaltung, der er begegnet.
Wie soll der Mann dieser Erwartung nach aussehen?
Die äußere Erwartung an den Mann lautet immer noch, der Starke zu sein, in welcher Form auch immer. Der zu sein, der weiß, wo es lang geht, der Gefühl von Verstand abtrennen kann, der die Entscheidungen trifft. Das hört sich archaisch an und das ist es auch. Die Gesellschaft stellt diese Erwartungen nach wie vor an den Durchschnittshetero, daneben existiert das kommerzialisierte Bild des Homosexuellen, dessen vermeintliche Freiheit darin besteht, weibliche Attribute anzunehmen.
Aber wird nicht seit Jahren von der Gendertheorie über Hanna Rosins „The End of Men“ bis zu einem Spiegel-Titel vor zwei Jahren eine „Männerdämmerung“ bis weit hinein in Bildung und Soziales beschworen?
Ich selber arbeite im Bereich Gender-Studies und kenne diese Werke. Ich weiß auch, dass das offizielle Statement besagt, dass sich sehr viel verändert. Meine Frage lautet: Stimmt das überhaupt? Oder betrifft das wieder nur den Ausnahme-, aber nicht den Durchschnittsmann. Ich kenne auch den Vorwurf, dass das Bildungssystem „verfraut“ sei und die Jungs keine Rollenbilder mehr haben, mit denen sie sich identifizieren können. Meine These geht etwas weiter: Ich lehne es ab, in der binären Opposition von Mann und Frau zu denken. Man sollte sich eher einem grundsätzlichen Menschenbild annähern. Unsere drei Darsteller verkörpern alles, Mann, Frau, homo-, hetero- und bisexuell. Es geht darum, nicht alles sofort zu kategorisieren und in Schubladen zu packen.
Auf welches Material greifen Sie zurück?
Ich habe den Genderkontext genauso wie Male-Studies und die Queer-Theorie mit einbezogen. Das Thema hat sich dann aber stark aus einem persönlichen Kontext heraus entwickelt. Das Material habe ich primär in meinem Freundeskreis gesammelt, es stammt weniger von den Darstellern. Wir reden bei den Proben natürlich sehr viel darüber, wie sich die Schauspieler selbst sehen.
Inwieweit hat sich das Bild des Mannes durch die Digitalisierung verändert, wie es im Ankündigungstext heißt?
Ich glaube, dass die Digitalisierung eine Art Fluchtbewegung im Geiste in Gang gesetzt hat. Das Internet bietet die Möglichkeit zu einer Art Realitätsflucht, auf der sich Menschen ihre bebilderten Ängste anschauen können. Es sieht mir ja keiner zu, wenn ich das zuhause betrachte. Das Internet ist Zufluchtsort und Parallelwelt zur Realität, die sich nur schwer verändern lässt.
Man kann auch über soziale Netzwerke sein Außen mit konstruieren.
Plattformen wie Facebook sind natürlich super zur Selbstdarstellung in jeder Richtung. Aber auch da will sich jeder von seiner besten Seite zeigen. Jeder zeigt sich, wie er sich selbst sieht oder wie er von Fremden wahrgenommen werden möchte. Gerade bei Facebook achten die Leute stärker darauf, wie sie sich darstellen. Je bekannter die Plattform, desto konformer die Bilder von sich selbst.
Welche Rolle spielt das in Ihrem Stück?
Die Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken ist sehr stark inszeniert, jeder achtet genau auf jedes Zitat und jedes Foto. Im Stück fällt der Satz „X gefällt sein eigenes Foto“. Man soll ja in Netzwerken nicht die eigenen Fotos liken. Wir sind aber unser größter Fan, weil wir die Seiten erstellt haben und würden am liebsten alles von uns liken. Neben den offiziellen Plattformen gibt es dann aber auch Schattenplattformen wie poppen.de oder joyclub.de für Sexkontakte. Da sind die Leute viel interessanter und ehrlicher als in den geleckten Facebook-Profilen.
Welche Rolle spielen die Frauen für das Selbstbild der Männer und reproduzieren sie nicht auch die konventionellen Männerbilder?
Generell ist das Bedürfnis nach dem Klischee groß, weil es Struktur und Sicherheit gibt und wir ständig nach etwas suchen, was uns im Leben anleitet. Ich persönlich plädiere dafür, auch mal mit dem Chaos zu leben und dafür, dass Dinge eben nicht klar umrissen sind. Frauen spielen natürlich eine Rolle in meinem Stück, sie sind allerdings physisch nicht anwesend. Die Jungs sind auch mal Frauen zwischendurch. Es gibt in meinem Stück weniger die Sicht typisch Mann, typisch Frau, es gibt eher die Sichtweise, typisch Klischee oder Stereotyp.
Wir erleben momentan immer häufiger Pädophiliedebatten. Geht damit nicht auch eine Dämonisierung männlicher Sexualität einher?
Ich glaube, das ist einfach Bequemlichkeit, die aus dem Klischee entspringt, dass angeblich alle Männer pädophil seien. Das ist leichter, als nach den Ursachen zu schauen. Formen von Pädophilie hat es immer gegeben, nicht nur bei Männern. Ich will das nicht verherrlichen, aber man verändert nichts, indem man prophylaktisch mit dem Finger auf jemanden zeigt. Da müsste bei Menschen mit pädophilen Neigungen viel früher angesetzt werden.
„Exit Romeo“ ist Ihre erste Regie. Wie fühlt es sich an in einem Beruf, der größtenteils immer noch von Männern ausgeübt wird?
(Lacht.) Es fühlt sich sehr gut an. Es stimmt, ich kenne aufgrund meiner Regieassistenzen nur die männliche Führungsweise. Ich habe mich gefragt, wie ich sein werde als Regisseur (sic!). Man kennt ja das Bild vom cholerischen Regisseur mit viel Streit und Stress, das ist bei uns nicht Fall, sondern es geht sehr harmonisch zu.
Sie machen es also auf ihre weibliche Art?
Ich mache es nicht auf meine weibliche Art, sondern auf meine Art.
„Exit Romeo“ | R: Silvia Werner | 11.3., 12.-15.3. 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13
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