Zwischendurch muss Wasa Marjanov durchatmen. Es sind über hundert Objekte, teils in Verbindung mit Fotomontagen oder Texttafeln, die er im Museum für Angewandte Kunst zeigt, und zu allem weiß er als Künstler etwas zu berichten. Seine Ausstellung ist eine veritable Werkschau, von 1984 bis hin zu den aktuellen plastischen Beiträgen, die um sein Theatron kreisen. Dabei handelt es sich um ein mobiles Display zur Aufführung von Theaterstücken oder Performances. Zwar ist dieses selbst jetzt nicht ausgestellt, wird aber im Mai, wie die Direktorin des MAKK, Petra Hesse, mitteilte, als Spielstätte vor dem Haus aufgebaut. Marjanovs Ausstellung weist also aus der Vergangenheit in die Zukunft, wozu bei ihm die Utopie gehört. Utopie schon deshalb, weil seine Arbeiten die Dimensionen des (kleinformatigen) plastischen Entwurfes nicht verlassen; sie lassen sich lediglich in Gedanken gebaut vorstellen. Eine vertrackte Hilfe dabei sind mitunter die Fotocollagen, welche die plastischen Objekte aus anderer Perspektive und sozusagen riesig zeigen: integriert in reale Stadtansichten, in die sie sich aber nur störrisch und eigentlich nicht so recht einpassen. Andererseits verwendet Marjanov Grundformen wie Kegel, Würfel und Kugel, die allenthalben in die zeitgenössische Architektur Eingang gefunden haben. Ja, ein Teilnehmer des Pressegespräches fühlte sich bei einem Objekt von Marjanov ganz direkt an ein neues Museum in China erinnert. Wasa Marjanov stößt Dinge an, die denkbar wären, nur eben anders: als Künstler, mithin spielerisch und vor allem schwerelos, über alle baulichen Hemmnisse hinweg.
Wasa Marjanov, der 1947 in Pancevo in Jugoslawien geboren wurde und 1963 nach Deutschland übergesiedelt ist, hat an der Kunstakademie Düsseldorf das Studium Integration und Bildende Kunst abgeschlossen – das Reflektieren des Öffentlichen Raumes und die Auseinandersetzung mit Architektur waren da schon angelegt. Bekannt wurde er Mitte der 1980er Jahre im Umfeld der sogenannten „Modellbauer“ mit Schütte, Mucha und Klingelhöller. Eine Zeitlang waren diese Künstler führend im Kunstgeschehen, wobei Marjanov aber eine Position am Rande einnahm: Ein bisschen mehr als die anderen Künstler interessierte ihn doch der Bezug zu „realer“ Architektur, indes verließ er schon da als einziger den kleinen Maßstab nicht. Konsequenterweise wurde seine Kunst später der dekonstruktivistischen Architektur zugerechnet. So nahm er im Jahr 2000 gemeinsam mit Architekten wie Coop Himmelblau und Zaha Hadid an der Ausstellung „Metaformen“ in der Kunsthalle Düsseldorf teil. Aber die Objekte von Marjanov unterlaufen jeden Anspruch auf Realisation; auf der baulichen Seite fordern sie gerade nichts heraus. Vielmehr: „Ihre besonderen Qualitäten bestehen gerade darin, den Realitätssinn zu überfordern, jede verengende Definition ins Weite zu entlassen, damit aber eine Wahrnehmung zu ermöglichen, die das Gesehene nicht für wahr nimmt, sondern als Denkmodelle zwischen realen und geistigen Orten erfährt“, wie Bernd Finkeldey vor einigen Jahren geschrieben hat (Kat. Budapest, Belgrad, Sofia 2003).
Schule der Utopisten
Im Grunde weicht Wasa Marjanov also erst jetzt vom Verzicht auf Umsetzung ab: Sein Theatron, an dem er seit etwa 2004 arbeitet und das seither in sechs Ländern als Bühne diente, ist ein aufklappbarer und im geschlossenen Zustand transportabler schwarzer Kubus, in dem lediglich geometrische Grundformen angebracht sind, die typisch für Marjanovs Formrepertoire sind. Dieses wurzelt (wie Armin Zweite in einem Essay 2003 festgestellt hat) insgesamt in der Frühphase des russischen Konstruktivismus wie auch im italienischen Futurismus, die beide eine Durchdringung mit dem Alltäglichen anstrebten.
Marjanovs bildhauerische Utopien nun verbinden Elemente des Absurden mit dem Konkreten – eigentlich ist es nie umgekehrt. Der Charakter des Disparaten bleibt dabei anschaulich, auch wenn er durch die verwendeten Materialien oder die durchgehende Farbigkeit gemildert ist. Als Idee und Ansatz wirken die Objekte in ihrer Begegnung mit Architektur plausibel, tatsächlich tragen sie im Kern etwas Praktikables und versuchen, einen gewissen Nutzen für bestimmte Anwendungen und Berufszweige zu entwickeln. Die Kombinatorik der Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle. Meist sei der Titel zuerst da, sagt Wasa Marjanov, und über die Worte gelange er dann zur Skulptur. Und: Der Titel sei Teil der Skulptur.
Dies trifft auch in der Ausstellung auf die ganz frühen grauen und zierlichen Objekte zu, die dieses Brüchige in ihren Titeln – etwa „Förderbandvilla“ und „Hühnerzuchtwalhalla“ – betonen. Tragen diese Arbeiten also etwas Aberwitziges und von vornherein Ausgeschlossenes in sich, so lässt Marjanov schon mit den nächsten Werkphasen die Idee des möglichen Modells anklingen. Und er arbeitet schon ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre mit dem Konzept eines Theaters, etwa im „Amphitheater von Manhattan II“ (1988), bei dem zwei zwillingshafte Türme innerhalb von konturierenden Gestängen beschlossen werden, welche einen Kubus einschließen. Also auch diese Form ist schon früh vorhanden, und sie zieht sich bis heute durch das gesamte Schaffen von Marjanov.
Im Museum für Angewandte Kunst wird der Kubus in der goldfarben gestrichenen Rotunde geradezu gefeiert. Als überlebensgroßes Gestell durchdringt er auf der einen Seite ein Ensemble aus Tisch und Stuhl und hält auf der anderen eine Art Baumhaus, das gleichzeitig an eine Innenarchitektur wie auch an eine Theaterbühne erinnert. Damit aber haben wir alles beisammen: Wasa Marjanovs Sache ist die Zusammenführung von Freier Kunst, Architektur und Design – seine Ausstellung, die den Schwerpunkt Architektur in diesem Museum 2012 einleitet, ist hier absolut am rechten Ort.
„Wasa Marjanov – Skulpturen mit Architekturbewusstsein“ I bis 22. April im Museum für Angewandte Kunst Köln I www.makk.de
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