Das Gerücht, dass Deutsche keinen Humor besäßen, ist so alt wie falsch. Sehr wohl lacht sich der Deutsche gern ins Fäustchen. Mit der Vorbetung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern lassen sich gar Stadien füllen. Auch die Denunziation sozialer Randfiguren und die Missverständnisse des Alltags sind immer ein willkommener Anlass, den Komiker nutzen, um sich auf die Seite des Publikums zu schlagen. Comedy ist, wenn man trotzdem lacht. Wer es beflissener mag, wählt die Plattform des Kabaretts, um sich bespaßen zu lassen. Dort, in Gesellschaft eines etwas „erwachseneren“ und auf seiner höheren Bildung bestehenden Publikums, wird einem dann bestätigt, dass die Welt schlecht ist, die da oben machen, was sie wollen, und man es ja schon immer gewusst hat. Welch Bandbreite... Und was macht Alexander Bach? Alexander Bach macht einfach nicht mit.
Schüchtern und fast introvertiert kultiviert Bach bei Auftritten wie zuletzt im Rahmen der „Neun-Uhr-Comedy“-Termine im WirtzHaus des Atelier Theaters eine Bühnenpersona, die sich nicht nur jede Rampensau-Attitüde verbietet, sondern in manchen Momenten fast ein wenig verloren daherkommt. Wie viel davon Teil einer Performance und wie viel authentisches Lampenfieber ist, wird nie ganz klar. Statt in die üblichen Affekte des Comedy-Betriebs zu verfallen, laut und grell vorzupreschen, die schnelle Pointe anzupeilen und das Publikum zu überrumpeln, bis es in kapitulierendes Lachen verfällt, meidet Bach die erfolgsversprechenden Lieblingsthemen der Szene. Statt über Frauen im Bad, Unterschichtenkindernamen, Multikulti-Verständigungsprobleme oder die Tücke des Objekts zu fachsimpeln, philosophiert er lieber über Klischees in alten Horrorfilmen aus der Schmiede der Universal- oder Hammer-Studios, schwelgt in Erinnerungen an die Hörspiele seiner Jugend oder sinniert über Gefühle der Einsamkeit. Die Außenseiter sind bei Bach die Stars. Humor ist zumeist eher eine Begleiterscheinung seines Faibles für Skurill-Verschrobenes und nicht wirklich der definierende Pulsschlag seines Programms.
In zwanzig aktiv kreativen Jahren hat der in Düsseldorf geborene und in Köln lebende Bach vieles ausprobiert. Mit mehreren veröffentlichten Erzähl- und Prosabänden in der Hinterhand sieht er sich gar mehr als Autor und Stehgreif-Romancier, denn als Komödiant. Die Welt der Komik ist eher eine Zwischenstation, an der er zwar gern rastet und die sich doch, so Bach, einfach nicht wie die Heimat anfühlen will. Die mit dem Komikerdasein einhergehende Not, sich eine Schublade aussuchen und darin Platz nehmen zu müssen, erfüllt ihn nicht mit Begeisterung: „In der Comedy-Szene ist es ein wenig wie mit einem Blick auf eine Speisekarte: Da muss für den Betrachter schon mit einem Blick klar sein, was es gibt. Was erwartet mich und wie muss ich es aufnehmen? Will ich sowas mal ausprobieren oder bleibe ich doch bei dem, was ich kenne? Mehr zu bekommen oder auch nur eine Variation des Gewohnten ist manchmal schon schwer zu goutieren.“ Auch wenn er sich im Wirtzhaus in den vergangenen Monaten etwas wie eine kleine Stammbühne erspielen konnte, spürt man hin und wieder den Stolz eines Outcasts, der sich nicht zu schämen scheint, mehr ein Trabant als ein Teil der Szene zu sein.
Obwohl die Gefahr besteht, sich mit einer solch entschiedenen Abkehr von den Steckenpferden der Humorstandards ins Abseits zu begeben und sich das Desinteresse oder sogar den Zorn des Publikums zuzuziehen, ist zu beobachten, dass sich das Publikum erst zögerlich, doch dann immer zutraulicher auf Bachs Sonderweg einlässt. So überrascht es fast zu sehen, wie gerade die leisen Töne eine Resonanz erzeugen und die Besucher für sich einnehmen. Ganz offenbar erkennen sich nicht wenige Gäste auch in der Verlorenheit und Melancholie von Bachs Bühnenpersona wieder und lassen sich gern in einen Zustand weltflüchtiger Nachdenklichkeit versetzen. Statt laut prustender Lacher sind eher die kleinen Schmunzler, das wissende Nicken oder das versonnene Zuhören das Brot des Künstlers.
Auch wenn er im Rahmen kleiner Auftritte wie den aus zwei Zwanzigminütern bestehenden Auftritten im Ateliertheater ansatzweise versucht, den Gewohnheiten der Zuschauer entgegenzukommen, sind Auftritte als „Comedian“ für ihn immer auch Herausforderungen in Sachen Showmanship: „Wenn ich im Comedy-Kontext auftrete, versuche ich immer, eine Art Best-Of-Programm zusammenzustellen, bei dem auch für die Besucher etwas dabei ist, die nicht wissen, wie ich ticke, was ich mache und wo meine Interessen liegen. Man überlegt, was ein breiteres Feld an Besuchern ansprechen könnte, was schonmal funktioniert hat und was vielleicht bei einem bestimmten Publikum funktionieren könnte.“
Auftritte wie in der „Escht Kabarett“-Reihe oder bei diversen Poetry-Slams sind für Bach dabei auch eine Möglichkeit, die eigene Bekanntschaft zu mehren und ein Laufpublikum anzusprechen, dem es gilt im Gedächtnis zu bleiben. Die Herzensprojekte finden sich an anderer Stelle. „Start spreadin' the Night!“ hieß das abendfüllende Ein-Personen-Stück, mit dem er vor drei Jahren mehrere Auftritte absolvierte. Irgendwo im Niemandsland zwischen biografisch angehauchter Anekdotensammlung, Streifzügen durch die obskuren und mit Staub und Vergessen belegten Ecken im Keller der Popkultur, Liebeserklärungen an Sinatra und die Ära der Rat-Pack-Crooner und Übungen in eleganter Schwermut entwarf Bach einen Erzähl- und Leseabend, der ihm nah ging, viel abverlangte und den er als bisher gelungenstes Erlebnis seines Bühnenschaffens sieht. „Da hatte ich das Gefühl, wirklich angekommen zu sein. Da wusste ich, wohin ich kreativ will und was mir auf der Bühne Spaß macht“, erinnert sich Bach: „Ich würde es am ehesten als eine Live-Roman-Hörspiel beschreiben. Da ist eine Bühne und da ist ein Lichtkegel und mittendrin bin ich allein mit meinen Geschichten.“ Das gute alte Storytelling ist Bachs Steckenpferd und „Start spreadin' the Night!“ sein persönlicher „Fänger im Roggen“, doch weiß er auch, wie schwer es ist, ein formales Experiment zu etablieren und sowohl an die Zuschauer wie auch an die Veranstalter und etwaige Spielstätten zu tragen. Was der Bauer nicht kennt... ist ihm schwer nahezubringen.
Statt über vergossene Milch und fehlende Flexibilitäten in den Grenzbereichen von Humor, Prosa und Geschichtenerzählen zu klagen, geht es für Bach weiter. Neue Auftritte folgen und das Sortiment bestehender Texte und Anekdoten wächst. Mal als Poetry-Slam-Moderator im Blue Shell (15.4.), als Teil des „Escht Kabarett“-Programms (18.4. bei Motorrad Lust, Bonner Wall 124) oder immer mal wieder mit Soloprogrammen wie „It's nice to go Trav'ling“ (20.4. in Leverkusen-Opladen, Café Galerie Zettels Traum) oder „schönste Freude“ (14.12. im Schauspielhaus Bergneustadt) bespielt er die Bühnen, die sich bieten. Was Pflicht und was Kür ist, kann jeder Besucher selbst herausfinden. Ein Faible für gepflegte Melancholie sollte man derweil selbst dann mitbringen, wenn der Abend im Zeichen der „Comedy“ stehen sollte. Es mag sich nicht wie die Heimat anfühlen, doch lernt er auch an jenen Abenden immer wieder flüchtige Besucher kennen, die vielleicht anderes erwartet, dafür jedoch mehr bekommen haben, als sie sich erhoffen konnten: das Wissen, dass man auch gemeinsam in süßem Schwermut schwelgen und dennoch darüber lachen kann. Der Weg zum nächsten Herzensprojekt ist immer etwas länger und beschwerlicher, doch man wird sich genau dort wiedersehen.
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