Brennende Handflächen, vibrierende Trommelfelle, goldenes Konfetti im Haar – das in etwa beschreibt den Zustand nach der Oktoberausgabe des „charmantesten Poetry Slams Kölns“ (30.10.). Bei dem ein oder anderen waren es noch ein paar Tränchen im Auge dazu, denn neben dem normalen Slam, der alleine schon jeden Monat aufs Neue das Publikum zu emotionalen Höhenflügen einlädt, war dieser Abend auch noch ein Abschieds- und Geburtstagsfest in einem. 13 Jahre Reim in Flammen, 13 Jahre moderiert von Benjamin Weiß, an diesem Abend allerdings zum letzen Mal.
Die Bedingungen waren gut: Acht talentierte PoetInnen, zwei Moderatoren, ein genialer featured artist und im Hintergrund Tommy Licious, der die Schallplatten heißdrehte. Und das alles wie immer im urbanen Gewölbe des Club Bahnhof Ehrenfeld, in dem man ab und zu leise einen Zug über sich rattern hört. Dazu die geballte Menge Emotionen, Glanz und Gloria um den Ex-Moderator. Ab der zweiten Hälfte des Slams zeigte sich dann auch das erste Mal dessen Nachfolger Jean-Philippe Kindler.
Los ging’s mit der Vorrunde, in der die ersten Kandidaten zunächst etwas zum Nachdenken boten: unter anderem mit einem Einarmigen, der auf dem Fahrrad Zigaretten dreht, und dem inneren Monolog eines adipösen Jungen in der Supermarktschlange. Das änderte sich jedoch schlagartig als der Hannoveraner Tobias Kunze die Bühne betrat: Mit Cap, freundlichem Grinsen und Blatt in der Hand, aber keinem einzigen vor dem Mund, zerhackte er mit seiner Satire das Konzept Poetry Slam und alles, was aus ihm geworden sei. In ehrlichen Worten plädierte er für mehr Authentizität und Ehrlichkeit beim Slam. Nach seiner Meinung sei Poetry Slam „zu sehr ein Streber geworden“ und mehr zu einer „Therapiesitzung für Neurosenbündel“.
Eins musste er dem Poetry Slam von heute jedoch lassen, wie er zugab: Das Publikum hat (weitestgehend) Lust auf den Klamauk, den die Poeten mit ihnen anstellen, und somit werde den Künstlern auch endlich einmal zugehört. So könnten sie, auch ohne mit Schwämmen beworfen zu werden, zeigen was sie können. Der Beweis folgte sofort, in Form der jungen Bochumerin Jule Weber, die in „Die neue Haut“ das Schicksal eines Mädchens erzählte, das aus ihrem alten Leben ausgebrochen ist.
Es gab dann aber auch wieder etwas zum Lachen: Klaus Rother wirkte zwar ein wenig verloren, als er zaghaft ins Zentrum der Bühne trat, jedoch überraschte der Kölner dann mit herzerwärmenden, ehrlichen Gedichten über „Würstschen“ und sich übergebende Fräuleins – ganz ohne Prunk und Schnörkel. Und alle Gedichte in waschechtem Kölsch vorgetragen. Kurz konnten die Zuschauer die Lachtränen trocknen und schon stand Ahne aus Berlin auf der Bühne. Was anfangs wie die Beschreibung eines LSD-Trips wirkte, war der Verlauf eines Tages, gesehen durch die regenbogenfarbene Brille eines – leicht besessenen – Verliebten. Sächsischer Dialekt gepaart mit ausnahmslosen Übertreibungen über Gefühlsblindheit und Wolke sieben, eine interessante Mischung.
Darauf folgte eine rührende Ode an Benjamin Weiß alias „Slamjamin“ von dem charmanten Team „Kannzemahelfen“ aus Köln – ein Auftritt so lustig und traurig, dass er selbst dem coolen Weiß Tränchen in die Augen trieb. Zwischendurch brachte Andy Strauß, das verrückte Allroundtalent in Jogginghose, mit genialen Beat-Box-Rhythmen, Rap und Nonsens die Zuschauer zum Fiepen. Man meinte schon, jetzt gleich würde der Erste die Hose ausziehen und die Korken der letzten geschlossenen Champagnerflaschen knallen lassen, bevor es dann ganz anders kam, denn der Poetry Slam musste weitergehen.
Anschließend betrat nämlich Josephine von Blueten Staub aus Leipzig die Bühne. Sie wusste, wie schwierig es gewesen wäre, den noch vom Lachen bebenden Bäuchen der Zuschauer jetzt tropfende Lyrik zum Verzehr anzubieten. Aber genau das hatte sie vor – und erstaunlicherweise gelang ihr das Wunder. Selig weich und doch in schwindelerregendem Tempo segelte das Publikum, getragen von ihren klar und laut gesprochenen Versen, zurück ins Boot, ihr Boot, vorbei an intimsten Gedanken und Momenten. Das erhitze Publikum war plötzlich wieder ganz still.
Die Poeten warfen die Zuschauer also mal wieder vom heißen ins kalte Wasser, aber genau dieser Wechsel an Gefühlen, dieses Ping-Pong-Spiel zwischen Lachanfällen und Ernsthaftigkeit ist es, was einen guten Poetry Slam ausmacht.
Zum Sieger des Abends erklärte das Publikum Tobias Kunze mit seinem Text über das Erwachsenwerden und den Mythos, dass dann alles vorbei wäre – dass Herauswachsen bedeuten kann, erst richtig wachsen zu lernen, und wie es sich anfühlt, wenn plötzlich die Momente zählen, nicht mehr die Filmrisse. „Zum ersten Mal presse ich record statt restart.“ Tobias‘ Worte gingen unter die Haut und somit siegte am Ende die Ehrlichkeit. Und wie es sich für einen wahrhaftigen Gewinner gehört, teilte er den Sieges-Whisky mit den anderen Slammern und dem Publikum.
Nächste Termine:
Mo 26.11. 19.30 Uhr | Wohngemeinschaft
Di 27.11. 20 Uhr | Club Bahnhof Ehrenfeld
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