Poetry Slam ist mittlerweile jedem ein Begriff und die unterhaltsamen Duelle zwischen den Dichtern und Denkern erfreuen sich dementsprechend zunehmender Beliebtheit. Jana Heinicke stammt selber aus der Slammer-Szene, aber hatte Anfang des Jahres eine revolutionäre Idee: Warum nicht ein öffentliches Duell zwischen Puppenspielern stattfinden lassen? Und so ward Anfang des Jahres der erste Puppetry Slam Deutschlands in Berlin geboren.
Nach bereits erfolgreichen Shows in Berlin, Mainz und Nürnberg fand nun zum ersten Mal ein Puppetry Slam in Köln statt, im Kölner Künstler Theater. Moderiert wurde der restlos ausverkaufte Abend von Initiatorin Heinicke und ihrer Puppenspieler-Kollegin Nicole Weißbrodt, die zugleich auch der Featured-Artist des Abends war.
Das Reden überläßt die Berliner Schauspielerin Weißbrodt an diesem Tag ihrer Abendbegleitung Clarissa Zockovic – einer lebensfrohen, älteren Holzpuppendame, die ihre dreiste, fast schon kölsche Lebensart mit viel Charme unterstreicht. Gerne hört man Ihr zu, wenn sie ausschweifend von ihren Abenteuern jenseits der Seniorenresidenz „Sonnenuntergang“ erzählt oder sie gewitzte Kommentare zu den Künstlern und der Show ablässt.
Obwohl die Moderation von Jana Heinicke durchweg solide moderiert und für einige Lacher gut ist, scheint sie dennoch nicht mit der unberechenbare Tücke der älteren Dame und Co-Moderatorin zurechtzukommen. Nicht nur einmal gerät sie aufgrund eines Kommentars von Zockovic ins straucheln – um sich aber sogleich auch wieder zu fangen. Der unbeschwerte und naive Charme eines Amateurs und eine gute Portion Improvisationstalent, verleit ihr jedoch glücklicherweise die nötige Bühnenpräsenz, um das Publikum durch den Abend zu führen.
Der erste Kontrahent des Abends ist die Puppenspielerin Anna aus Köln mit ihrer ulkigen, mit Haarfetzen beklebten Skelettpuppe Wolfgang Amadeus Mozart. Wenngleich Anna sich authentisch als Vampirbraut á la Adams Family verkleidet, will sie jedoch keinen geringeren als den lieben Gott im Himmel darstellen. Dieser siehe sich dazu verpflichtet „Wolfi“ wieder zurück zur Erde zu schicken – und zwar nach Köln. Sichtlich amüsiert freut sich der knochige Mozart in seine Lieblingsstadt einkehren zu können, allerdings sehr zum Trübsal von Gott, der befürchtet einen wertvollen Freund zu verlieren.
Klingt alles irgendwie an den Haaren herbeigezogen? Ist es auch. Die Performance von Anna trieft nur so vor künstlichem Kölner Patriotismus und schlechten Witzen – alles untermalt von einer Kakophonie aus schrillem Gelächter. Mit dieser Art Klamauk würde man vielleicht während einer Karnevalssitzung ein Zelt voller Betrunkener zum Lachen bringen, im Theater ringt dies aber kaum jemanden ein müdes Lächeln ab.
Die folgende Künstlerin aus Leipzig zeigt direkt wie es richtig geht und schwiengt sich zum Publikumsliebling auf. Franziska gewann bereits mittels ihres schauspielerischen Geschicks den ersten Puppetry Slam in Berlin, weshalb die Erwartungen ihr gegenüber entsprechend hoch sind. Diese kann sie aber bedenkenlos erfüllen.
Im aufreizendem Eva-Kostüm, und unter schallendem Gelächter, betritt Franziska die Bühne des Theaters. Ihre weiblichen Reize verstärkt betont durch anmutige Plastikimitate. Ein bisschen berauscht, ein bisschen betrunken und träumerisch führt diese einen Dialog mit der bösen Schlange im Paradies Gottes. Verzweifelt versucht das amphibische Kriechtier Eva dazu zu bewegen, von einem Apfel vom Baum der Erkenntnis zu naschen, was jedoch fast an Evas Naivität und Weltverlorenheit scheitert.
Das Kontrastprogramm kommt an diesem Abend besonders von Regine aus Bochum. Die blauhaarige Dame beweist, dass Puppenspielerei nicht zwangsläufig mit Comedy oder Slapstick zu tun haben muss. Kaum ein Ton entrinnt dem Publikum, als Regine ihr Freundschaftsdrama zu ihrer Hasen-Handpuppe ausbreitet, die sichtlich verbraucht vom Schauspieler-Business scheint.
Reginas Hase zeigt sich enttäuscht und verletzt, fühlt sich benutzt von ihrer Besitzerin und schreckt auch nicht vor harten Worten zurück. „Nimm endlich die Hand aus meinem Arsch!“, schreit das Kaninchen, als Regine fragt, wie sie die vergangenen Enttäuschungen wieder gut machen kann. „Für dich war ich doch nicht mehr als ein Versuchskaninchen!“, brüllt es. Während man diesen Worten lauscht und Regines ergreifende Darstellung beobachtet, fragt man sich zwangsläufig, ob man hier gerade tatsächlich nur einem Konflikt zwischen Puppe und Puppenspielerin beiwohnt – so authentisch ist das Szenario.
Der vierte Darsteller des Abends heißt Dietmar und kommt aus Mainz. Er erzählt aus der Perspektive eines Detektivs eine düstere Kriminalgeschichte, die glatt aus den 60er Jahren stammen könnte. Eines Tages findet dieser eine zerdrückte Banane in seiner Küche. Barney Banane hieß sie, und war sein bester Freund. Und so nimmt das erschreckende Gemüse-Gemetzel seinen Lauf. Der Detektiv folgt der Spur von Barneys Tod und findet schnell heraus, dass dieser eine Affäre mit Molly Melone hatte. Es folgen harte Kämpfe mit einer Gurke und einem Bund Porree. Doch dank seiner geheimen Veganer-Kräfte übersteht der Detektiv die Auseinandersetzungen ohne einen Kratzer.
Man könne meinen eine Kriminalgeschichte um einen Korb Gemüse wäre nicht spannend, aber Dietmar beweist das Gegenteil. Charmant und galant schafft dieser es in sieben Minuten ein tragikomisches Drama auszubreiten, das für einige Lacher im Publikum sorgen kann. Noch nie tat es einem innerlich so sehr weh, zu sehen, wie eine Gurke von einer Käsereibe zerrieben wird.
Der zweite Mann des Abends ist Philipp aus Bayern, der inzwischen aber in Köln lebt. Dieser betritt die Bühne auf Empfehlung seines Therapeuten, wie er zu Beginn erklärt. Mitgebracht hat er sein Alter-Ego in Form einer älteren Männermaske, die gerne das Wort und die Führung übernimmt. Das ist auch völlig im Sinne Philipps, der eigentlich zu schüchtern und ruhig ist, um sich auf der Bühne wohlfühlen zu können und darum das Witzereißen lieber jemand erfahrenen und intelligenteren überlässt.
Besonders beeindruckt an Philipps Performance die Verschmelzung seiner Puppe mit seinem Körper, welcher er stets beim Wechseln der Persönlichkeiten vor das eigene Gesicht schiebt und so die Illusion erschafft, tatsächlich jemand anderes zu sein. Philipp erzählt mit Hilfe der Maske eine Geschichte über die Schüchternheit, die trotz mangelnder Pointe äußerst amüsant ist.
Den letzten Auftritt des Abends hat Verena aus Bochum inne. Ihre Handpuppe ist der bekannte Mann im Mond. Die Märchenfigur führt einen berührenden Monolog über die Einsamkeit und die Veränderung der Zeit. So fühlt er sich kaum noch beachtet von den Menschen, kriegt nur selten Post und nur noch wenige Kinder porträtieren ihn. Um das zu ändern beschließt er kurzerhand den Mond zu verlassen und den Menschen auf der Erde einen Besuch abzustatten.
Verena erweckt den schläfrigen Mann im Mond auf erstaunliche Weise zum Leben. Ihr eigene Person verschwindet vollends hinter der Darstellung der Golem-artigen Puppe. Auch sie beweist, das Puppenspiel nicht immer lustig sein muss, sondern durchaus poetische Züge annehmen kann. In ihrer Darstellung verbirgt sich eine geschickte Kritik an der Schnelllebigkeit unserer Zeit und an mangelndem Kunstverständnis. Ein Plädoyer dafür, einfach mal wieder die Natur zu genießen. Dass die Darstellung des Männlein im Monds dabei zwischendurch etwas arg müde und träge daherkommt, kann man angesichts der impressionistischen Ausdrucksform durchaus verzeihen.
Aufgrund der vielen guten Darstellungen fällt der Jury die anschließende Wahl des Gewinners des Abends sichtlich schwer. Besonders Verena, Philipp, Franziska und Dietmar spielten sich in die Herzen des Publikums, weshalb eine Stichwahl zwischen diesen Vieren die Entscheidung bringen soll. Doch selbst jetzt kann sich die Jury nicht eindeutig entscheiden und beschließt daher gleich zwei Tagesgewinner zu bestimmen: Franziska und Philipp gehen somit als Sieger des ersten Kölner Puppetry Slams hervor.
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