choices: Herr Hübner, was hat Sie gereizt in der Kölner Inszenierung von Tschechows „Der Kirschgarten“, die Rolle des Lopachin zu übernehmen?
Charly Hübner: „Der Kirschgarten“ ist eines meiner Lieblingsstücke und der Kaufmann Lopachin eine der Rollen, an der ich mich gerne „abarbeite“. Das hat auch mit meiner Biographie zu tun. Ich war 17 Jahre, als die Mauer fiel. Ich bin also ein Wendeteenager und habe gesehen, wie Menschen, die früher „klein“ waren, die Gelegenheit bekamen, „groß“ zu werden und umgekehrt. Etwas Ähnliches passiert auch mit Lopachin.
Was für eine Figur ist Lopachin?
Lopachin ist eine sehr moderne Figur. Er stammt aus einem Geschlecht von Bauern, die Leibeigene waren. Irgendwie ist er durch Wucher zu Geld gekommen und wittert nun seine Chance. Er kauft den Kirschgarten, um ihn zu parzellieren und dann zu vermieten – und so richtig Kohle zu machen. Das ist ein lineares, zielorientiertes Denken, das total unsexy und bar jeder situativen Gefühligkeit ist, und das mir persönlich völlig abgeht.
Gibt es etwas, das Ihren Charakter mit dem Lopachins verbindet?
Meine Art des Spiels strahlt, ohne dass mir das bewusst ist, eine gewisse Bodenständigkeit und Realitätsnähe aus. Da spielt sicher das Mecklenburgisch-Norddeutsche eine Rolle. Ich bin in einer Siedlung in Feldberg in Mecklenburg-Strelitz aufgewachsen, wo nur Handwerker und Bauern lebten.
Sie haben zunächst am Theater gearbeitet, seit 2002 aber nur noch Filme gedreht. Was war der Grund?
Ich habe in den 90er Jahren zusammen mit Schauspielerkollegen, den Regisseuren Tom Kühnel und Robert Schuster und der Puppenspielerin Suse Wächter eine Gruppe gegründet. Zunächst hat uns Peter Eschberg, der Intendant des Frankfurter Schauspiels, aufgenommen, später bekamen wir das Theater am Turm (TAT) als eigene Spielstätte. Ich fand das bis zuletzt eine Supersache, weil ich zu dem Zeitpunkt an keinem Haus Rollen wie den Kreon bei Sophokles oder „Vater“ in Strindbergs gleichnamigem Stück hätte spielen können. Nachdem wir uns sieben Jahre aneinander abgearbeitet hatten, war ich damit aber auch durch. Es waren eher persönliche Zweifel. Ich hatte das Gefühl, mich nur noch in Denkmustern zu bewegen, dabei wollte ich als Schauspieler Grenzen suchen und überschreiten, Leute peinlich berühren oder zum Lachen bringen. Damals entstand die Idee, zum Film zu gehen.
Gab es da ein Ziel, welche Filmrollen Sie irgendwann spielen wollen?
Am Anfang ging es nur darum, wie die Miete reinkommt. Dann wiederholten sich die Angebote für bestimmte Figuren. Ich hatte Anfragen für zwanzig Rocker und vierzig Wirte, aber keine für eine Liebegeschichte. Nach drei Jahren haben meine Agentin und ich versucht, da Struktur reinzubringen und uns jedes Jahr eine neue Aufgabe gestellt. Ein Jahr lang habe ich nur Independent-Sachen gemacht, dann nur Kinofilme; danach wiederum nur Filme, die ich selber auch gucken würde.
Mit der Figur des Udo Leye in „Das Leben der Anderen“ kam dann der Durchbruch.
Innerhalb der Branche fand der schon vorher statt. In einem Tatort mit Maria Furtwängler habe ich einen horoskopverliebten Dorfpolizisten gespielt. Das war meine erste große Fernsehrolle, und da merkte die Branche schon auf. Dann folgte ein weiterer Tatort mit Robert Atzorn. Danach kamen zahlreiche Einladungen zu Castings. „Das Leben der Anderen“ war für die Branche dann schon die Bestätigung, für die Öffentlichkeit dagegen der Knaller. Auf die Rolle werde ich noch heute immer wieder angesprochen.
Wie wichtig ist Ihnen, dass Figuren auch eine komische Seite haben?
Es gibt scheinbar einen sanften Schalk in mir. Ich schaue immer, wie ich einer Sache, die zu „dröge“ wird, wieder mehr Leichtigkeit verleihen kann. Bei Udo Leye stand das aber schon im Drehbuch. Mich reizt an der Rollenarbeit, diese Sektoren einerseits zu trennen, dann aber auch wieder zu verbinden. Mit dem Kommissar Bukow im Polizeiruf 110 gehe ich zum Beispiel in die düsteren Ecken einer Figur, mit „Ladykracher“ bediene ich die komische Seite.
Was hat Sie gereizt, die Rolle des Kommissar Alexander Bukow zu übernehmen?
Mich hat vor allem die Zusammenarbeit mit Anneke Kim Sarnau als Profilerin gereizt. Uns verbindet eine innere Unruhe. Wichtig war auch, dass der Polizeiruf in der Region spielt, aus der ich komme. Drittens ist Kommissar Bukow eine Figur mit einem doppelten Boden. Man weiß nicht, wer er eigentlich ist. Warum färbt der sich die Haare? Außerdem muss es früher, bevor er Kommissar wurde, einen Vorfall gegeben haben, der ihn kriminell werden ließ. In der Figur steckt viel drin, und das eröffnet mir die Chance, diesen doppelten Boden über die Jahre zu zeigen.
Wie kam es, dass Sie 2008 wieder Rollen am Theater übernommen haben?
Schuld daran ist mein alter Kumpel Roland Schimmelpfennig, den ich noch aus Zeiten des TAT kenne. Wir haben uns zufällig bei Jürgen Goschs Inszenierung von „Der Gott des Gemetzels“ wieder getroffen. Er wollte mich dann bei seiner Inszenierung von Justine Cortes Stück „Die Ratte“ dabei haben. Danach spielte ich in seinem Stück „Hier und Jetzt“ unter der Regie von Jürgen Gosch mit. Goschs Spielleitung war das Spannendste, was ich je erlebt habe. Jede Probe war wie eine Vorstellung. Wir haben dann noch bis zu seinem Tod an seiner Inszenierung der „Bakchen“ gearbeitet. Obwohl ich gar nicht so viel Lebenszeit mit ihm verbracht habe, fühle ich mich jetzt wie ein Stromkabel ohne Steckdose.
Werden Sie weiterhin am Theater arbeiten?
Der Wunsch wäre, dass die Pause zwischen zwei Theaterinszenierungen nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Die Erfahrung, bei einer Probe ausgeliefert zu sein, den Stoff des Stücks zu kapieren und spielerisch in Fahrt zu bekommen, das soziale Miteinander in einem Haus in homöopathischen Dosen mitzuerleben – das ist mit das Beste, was es in diesem Beruf gibt.
„Der Kirschgarten“ von Anton Tschechow
Regie: Karin Henkel, Schauspiel Köln
14.(P)/16./21./25./26./30.1. I 0221 22 12 84 00
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